Neues Album des Duos OTTO: Lecker Leberkasmusik

Vom Wohnzimmer ins All: Das Synthie-Duo OTTO zelebriert auf seinem Album „Over The Top Orchestra“ charmanten Retrofuturismus.

Die beiden Musiker an einer Bontempi-Orgel in einem alten Wohinzimmer

Man riecht die Bontempi-Orgel: OTTO Foto: Linus Dessecker

Für Außenstehende wirkt Bayern oft wie ein verschworener Kreis von Eingeweihten, doch innerhalb des Freistaats sieht das anders aus. Es gibt nur wenige Symbole von gesamtbayerischer Strahlkraft. Zu nennen wäre etwa der Märchenkönig Ludwig II. sowie der ehemalige Landesvater Franz Josef Strauß und, nun ja, die Leberkassemmel. Auf diese fleischliche Masse können sich Ober- und Niederbayern, Franken, Oberpfälzer und Schwaben gleichermaßen einigen. Würzig-fettig, außen fein gebräunt, mit rosa glänzendem Inneren: So soll der Leberkas idealerweise aussehen. Es war also höchste Zeit für eine (inoffizielle) Hymne.

Diese kommt dieser Tage von der Gruppe OTTO. Auf dem Album „Over The Top Orchester“ besingen die beiden Langhaarträger Alexander Arpeggio und Cid Hohner jene Mahlzeit für den Zeitraum zwischen Frühstück und Vesper. Doch „LKS 98“ ist beileibe nicht der Höhepunkt ihres Albums: Für bekennende Vegetarier*innen und andere Nichtbayern mag es womöglich gar nicht zu großen Sympathien reichen. Ein Glück also, dass sich Arpeggio und Hohner durch gerissenes Orgelspiel auszeichnen.

Mittlerweile in Berlin lebend, sind die beiden sehr aktiv um den Neuköllner Wohnzimmerclub Sameheads. Diese Institution des Nachtlebens zeichnet sich durch DJ- und Live­nächte voller wilden Diggertums genauso aus wie durch seine retrofuturistische Ein­gangs­etage, die anmutet wie eine italienische Eisdiele in den Fünfzigern. Zwischen unfassbarem Schnickschnack entstand in den letzten Jahren eine Rumpelkellerszene, die unbekannte alte Perlen und aktuelle Tanzmusik abseits von Techno zusammenbringt und Woche für Woche enthemmte Partys feiert.

Feuchtfröhlich kosmisch

Wer meint, dass all die durchzechten Nächte zwangsläufig zur Verblödung führen würden, liegt falsch: OTTO spielen immer intelligenten Orgelpop. Das Duo zitiert feuchtfröhlich kosmische Musik und Krautrock, Synthesizer­exotika der Siebziger, driftet gar in psychedelische Gefilde ab und setzt sich an die Speerspitze einer neuen Bewegung, die lieber auf „echten“ Instrumenten spielt, statt bloß die Maustaste über den Bildschirm zu schieben.

OTTO: "Over The Top Orchestra" (Bureau B/Indigo)

live: 14. Dezember: "Arkaoda" Berlin

Kein Wunder also, dass das Hamburger Entdecker-Label Bureau B zugeschlagen hat. Zwischen Dieter Moebius und Conrad Schnitzler ist Platz für OTTO. Gerade mit dem häufig absurd-komischen Schnitzler werden OTTO-Hörer viel anfangen können – und vice versa.

Den sprichwörtlichen roten Teppich rollen sich die beiden Berliner mit bayerischem Migrationshintergrund gleich selbst mit dem gleichnamigen Auftakt aus. Angetrieben von einer dieser Preset-Rhythmusbegleitungen, die bei Heimorgeln frei Haus kommen, entwickelt sich ein Instrumentalstück, das nach Bontempi und Farfisa klingt, nein, sogar schmeckt.

Es orgelt comme il faut

Hinter dem Retroschick dieses und aller weiteren Elektroorgelstücke, die gänzlich comme il faut sind, versteckt sich nicht das Wiederbeleben trivialer Kitsch-Electronica à la Jean-­Michel Jarre. Vielmehr zeigen Stücke wie „Hoch zu Ross“ und „Schuss im Scham“, wie man auf spielerische Art und Weise heute instrumental Musik macht – abseits von Tand.

Dub-Einflüsse oder der dezente Charme der Neuen Deutschen Welle fließen langsam ein. Das ist nie humorlos, nie eisern, nie spröde deutsch, wie schon die Songtitel zeigen. OTTO tragen unheimlich viel Spaß zur Schau. Das bewiesen sie auch auf ihrem Debüt mit dem grandiosen Namen „Greatest Hits“. Wer befürchtete, dass sich auf Albumlänge nun Langeweile einstellen könnte, wird eines Besseren belehrt. Noch bis zum Finale baut sich Spannung auf – „Morgendanach“ ist das Experiment zum Schluss, das mit kaum mehr als einem spechthaften Klopfen und einigen kleinen Synthesizersounds auskommt. Das ist in Gänze so frisch, dass man Lust auf eine Leberkas­semmel bekommt – und sei es bloß als musikalische Abstraktion.

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