piwik no script img

„Ja, von Mobilfunkstrahlung geht eine Gefahr aus“ „Nein, die Strahlung ist nicht gefährlich“

Macht Handystrahlung krank? Oder ist die Angst davor übertrieben? Die Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz, Inge Paulini, im taz-Streitgespräch mit dem Mobilfunk-Kritiker Wilfried Kühling

Von Svenja Bergt (Text) und Christian Thiel (Fotos)

taz: Herr Kühling, ist Mobilfunkstrahlung gefährlich?

Wilfried Kühling: Es gibt viele Studien, die darauf hinweisen, dass Mobilfunkstrahlung krank machen kann. Insofern geht natürlich eine Gefahr davon aus, ja.

taz: Frau Paulini, ist Mobilfunkstrahlung gefährlich?

Inge Paulini: Nein, sie ist nicht gefährlich. Denn die Grenzwerte, die wir in Deutschland haben, verhindern, dass theoretisch denkbare negative Effekte auftreten.

Kühling: Dem muss ich widersprechen. Ganz viele Studien zeigen ja, dass Mobilfunkstrahlung Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Zum Beispiel kann sie oxidativen Stress in den Zellen auslösen, was zu Krankheiten führen kann.

Paulini: Das ist aber alles nicht bewiesen. Zwar liefern viele Studien Hinweise auf mögliche Wirkungen. Aber bewiesen ist bislang nur eine einzige: Und zwar, dass sich Gewebe, an das ein gerade sendendes Mobiltelefon gehalten wird, erwärmt.

taz: Wann kann man denn sagen: Das ist jetzt eine bewiesene Wirkung?

Paulini: Wenn ich eindeutig sagen kann, dass die Strahlung die Ursache für einen bestimmten Effekt ist. Und dafür muss ich in einer Studie alle anderen denkbaren Störfaktoren ausschalten.

taz: Also zum Beispiel, dass es doch der enge Laborkäfig war, der die Mäuse krank gemacht hat, und nicht die Strahlung?

Paulini: Genau. Und natürlich müssen Ergebnisse durch andere Studien bestätigt werden, also reproduzierbar sein.

Kühling: Aber genau das gibt es doch bereits. Zum Beispiel eine Studie, die vom Bundesamt für Strahlenschutz selbst in Auftrag gegeben wurde. Ausgerechnet bei einem Professor, der dafür bekannt ist, ein Kritiker der Mobilfunkkritiker zu sein. Er wollte in seiner Studie widerlegen, dass Mobilfunkstrahlung eine tumorverstärkende Wirkung hat. Das hat er aber nicht geschafft.

Paulini: Diese Studie zeigt aber nicht, dass Mobilfunkstrahlung Tumore verursacht. Sondern nur, dass Mobilfunkstrahlung unter bestimmten Umständen anderweitig ausgelöste Tumoren verstärken kann und das auch nur bei Tieren.

Kühling: Ja, natürlich. Solche Forschung ist ja nur an Tieren und nicht an Menschen möglich, aus ethischen Gründen.

Paulini: Aber deshalb zu sagen, Strahlung verstärkt auch beim Menschen Tumoren, das geht nicht. Man kann nicht einfach von einen Tierversuch auf den Menschen schließen. Zumal Tierversuche häufig mit ganz anderen Strahlungsintensitäten arbeiten, als wir sie in der Realität haben. Trotzdem sagen wir: Ja, tatsächlich sind wir bei Tumoren nicht auf der sicheren Seite. Das liegt vor allem daran, dass Mobilfunk noch eine verhältnismäßig junge Technologie ist. Es gibt sie ja erst seit 20, 30 Jahren. Deshalb sollten wir alle die Strahlung durch unser Handy reduzieren, denn das ist für uns die Quelle, von der wir die meiste Strahlung abbekommen. Also zum Beispiel Freisprecheinrichtungen und strahlungsarme Telefone benutzen.

taz: Aber auch tumorverstärkend klingt ja ernst. Gab es nach dieser Studie irgendwelche Konsequenzen, etwa schärfere Grenzwerte?

Inge Paulini,

58, ist seit 2017 Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS). Die Behörde soll dafür sorgen, dass Strahlung, egal welcher Art, nicht zu Schäden in der Bevölkerung führt. Röntgenstrahlung im medizinischen Bereich beispielsweise, UV-Strahlung in Sonnenstudios oder eben Mobilfunkstrahlung. Paulini ist promovierte Biologin. Vor ihrer Tätigkeit beim BfS war sie unter anderem als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen tätig und leitete im Umweltbundesamt die Abteilung für Nach­haltigkeitsstrategien.

Paulini: Nein, weil keine tumorauslösende Wirkung beobachtet wurde. Und das wurde sie bis heute auch in weiteren Studien nicht.

taz: Eine tumorverstärkende Wirkung allein wird also erst mal nicht als problematisch gesehen?

Kühling: Die Bewertung solcher Effekte ist tatsächlich eines der größten Probleme, wenn wir über Mobilfunkstrahlung sprechen. Wir haben hier eine Grauzone, wo der Vorsorgegrundsatz greift. Ein Bereich, in dem man Maßnahmen ergreifen sollte.

Paulini: Die Frage für die Studie war: Lösen elektromagnetische Felder Effekte aus? Und das tun sie selbst nicht. Die Ergebnisse waren daher nicht so, dass wir gesagt hätten: Da muss man jetzt zum Beispiel an Grenzwerte ran.

Kühling: Aber es gibt genug andere Studien, die zeigen, dass Mobilfunkstrahlung Krebs nicht nur verstärkt, sondern auch auslöst. Zuletzt zum Beispiel eine große Tierstudie aus den USA. Und eine Studie aus Schweden, wo es Mobilfunk schon länger gibt als bei uns, hat sich über 30 Jahre die Tumorraten bei Menschen angeschaut. Man kann also schon sagen: Die krebsauslösende Wirkung zeigt sich nicht nur im Tierversuch. Sondern auch beim Menschen. Und das wirft die Frage auf: Was macht man nun daraus?

Paulini: Nein, für einen klaren Beleg reichen diese Ergebnisse nicht aus.

taz: Was fehlt dafür?

Paulini: Alle Studien haben Fehler oder zumindest Merkwürdigkeiten. Zum Beispiel die große US-amerikanische Studie, die Herr Kühling erwähnte.

taz: Sie meinen eine Untersuchung aus dem National Toxicology Program der USA. Mäuse und Ratten wurden dabei hochfrequenter Strahlung ausgesetzt. Eines der Ergebnisse: Bei männlichen Ratten hat die Strahlung Tumoren im Herzen verursacht.

Paulini: Diesen Effekt streiten wir auch nicht ab. Aber darüber hinaus ist etwas ganz Seltsames passiert. Nämlich: Die Tiere, die der Strahlung ausgesetzt waren, haben länger gelebt als die, die keine Strahlung bekommen haben. Und die Tiere, bei denen Krebs entstanden ist, waren nur die männlichen Ratten. Also nicht die weiblichen Ratten und auch nicht die Mäuse. Was soll man daraus schließen?

Kühling: Genau das ist der Vorsorgebereich, den ich meine. Man weiß: Da ist etwas. Man weiß nur nicht, warum. Das ist so, als ob wir sagen würden: Das Universum gibt es nicht, weil wir nicht wissen, warum es da ist. Bei vielen gesundheitlichen Fragen ist ein kausaler Wirkungsbezug nicht klar.

Paulini: Sie halten also Zusammenhänge von Ursache und Wirkung nicht für relevant? Dann haben wir einen zentralen Dissens. Über die Frage, ob Mobilfunk gefährlich ist, können wir nur diskutieren, wenn wir uns vorher darauf einigen, dass es um eine kausale Wirkung geht. Sonst kann ich ja alles behaupten und fordern, dass man da aus Vorsorgegründen handeln muss. So funktioniert doch Wissenschaft, man untersucht Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung.

taz: Dann lassen Sie uns mal konkret über die Gesundheitseffekte sprechen, die im Raum stehen. Ich bitte Sie um kurze Antworten: Der Effekt ist bewiesen, es gibt Hinweise darauf oder er ist nicht bewiesen. Beginnen wir mit der Wärmewirkung.

Paulini: Ja, ist eindeutig belegt.

Kühling: Ja.

„Warum sollte ich eine Maßnahme verlangen, wenn ich nicht sicher sagen kann, dass da ein Problem ist?“

Inge Paulini

taz: Oxidativer Stress, also Stress für die Zellen.

Kühling: Ja, ist ausreichend erklärbar.

Paulini: Nicht für den Menschen durch Mobilfunk, nein.

taz: Beeinträchtigung der Spermienqualität.

Kühling: Ja, da gibt es Hinweise.

Paulini: Nein, das ist nicht belegt.

taz: Schädigung der DNA.

Kühling: Es gibt zumindest deutliche Hinweise.

Paulini: Das ist die Ursache von Krebs und das ist nicht belegt.

taz: Einen bereits vorhandenen Tumor verstärken.

Kühling: Belegt.

Paulini: Da gibt es Hinweise.

Wilfried Kühling,

70, arbeitet als Sachverständiger und Autor zum Thema Bewertung von Umwelteinflüssen. Mittlerweile im Ruhestand, war er bis 2014 Professor für Raum- und Umweltplanung an der Universität Halle-Wittenberg und bis Mitte Oktober Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Eines seiner Kernthemen ist die Mehrfachbelastung durch verschiedene Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung, Nanopartikel oder eben Mobilfunkstrahlung. Für den BUND ist er unter anderem Co-Autor eines Ratgebers zum Umgang mit vernetztem Spielzeug für Kinder.

taz: Einen Tumor verursachen.

Kühling: Das ist in einigen Studien belegt.

Paulini: Nein, es gibt lediglich einzelne Hinweise aus Tierversuchen, aber keinen Beweis.

taz: Das Beeinflussen von Hirnströmen.

Kühling: Ja, ist nachgewiesen.

Paulini: Auch das ist nicht belegt.

taz: Herr Kühling, wir haben massenweise Umwelteinflüsse um uns herum, deren Gesundheitswirkung viel unstrittiger schädlich ist. Warum sehen Sie nicht Feinstaub oder Stickoxide als großes Problem, sondern Mobilfunkstrahlung?

Kühling: Bei Lärm kann ich das Fenster zumachen. Bei schlechter Luft drinnen lüften. Ich kann mich dem also entziehen. Bei Mobilfunkstrahlung geht das nicht, die geht durch Mauern durch. Die Schweiz beispielsweise macht es besser: Da haben sie die Grenzwerte um den Faktor 10 heruntergesetzt. Ich finde das zwar immer noch nicht genug, aber es ist besser als gar nichts.

Paulini: Die Grenzwerte in der Schweiz unterscheiden sich in der Substanz nicht wesentlich von unseren.

taz: Also nicht um den Faktor zehn niedriger?

Kühling: Doch, man hat für besondere Orte, wo sich Menschen aufhalten, die europaweiten Richtwerte um etwa den Faktor zehn gesenkt.

Paulini: Da hat man aber nicht auf einer Wirkungsbasis argumentiert. Sondern mit politischen und wirtschaftlichen Aspekten. Das bedeutet aber nicht, dass das Schutzniveau höher ist: Alle Grenzwerte werden in der Praxis weit, sehr weit unterschritten.

„Bei Lärm kann ich das Fenster zumachen. Bei schlechter Luft drinnen lüften. Bei Mobilfunk­strahlung geht das nicht, die geht durch Mauern durch“

Wilfried Kühling

Kühling: Ich finde, die Fürsorgepflicht des Staates muss vorher anfangen. Wenn es eine Vielzahl von Studien dazu gibt, dass da eine Gefahr ist …

Paulini: … sein könnte …

Kühling: … ist. Nicht im juristischen Sinn und mit allerletzter Sicherheit. Aber wir haben gute Untersuchungen von guten Wissenschaftlern, die zeigen: Es gibt da Effekte. Und ich finde, da darf nicht nur die Schweiz handeln. Wir müssen das genauso.

Paulini: Wir sind uns ganz einig, dass der Schutz der Bevölkerung und der Umwelt sehr wichtig ist. Und dass wir unbedingt handeln müssen, wenn wir erkennen, dass ein Stoff schädlich ist. Aber warum sollte ich eine Maßnahme verlangen, wenn ich nicht sicher sagen kann, dass da ein Problem ist? Wenn ich nicht einmal eine Idee habe, wie das biologisch funktionieren kann, dass ich von einem Ausgesetztsein zu einer Wirkung komme?

Kühling: Eine Maßnahme ist ja nicht: Ich streiche jetzt den Mobilfunk. Es geht doch viel einfacher. Ich habe vor einiger Zeit ein Notebook gekauft. Und nach einem halben Jahr habe ich festgestellt: Bei dem Notebook war immer das WLAN an. Weil das so voreingestellt war. Dabei brauche ich das WLAN gar nicht, ich habe zu Hause alles verkabelt. Da frage ich mich: Warum schreibt man nicht vor, dass das WLAN bei Auslieferung ausgeschaltet sein muss?

taz: Könnten Sie auf so etwas nicht hinwirken als Behörde?

Paulini: Das ist nicht direkt in unserem Regelungsbereich, das fällt unter das Produktrecht.

Kühling: Na ja. Wenn ich einen WLAN-Router anschaffe, der mit voller Strahlungsleistung ausgeliefert wird, obwohl auch weniger geht, dann ist es doch wohl Aufgabe einer Bundesoberbehörde, mit dem Verbraucherschutzministerium entsprechende Vereinbarungen zu machen. Denn da sitzen ja nicht die Fachleute für Strahlung.

Paulini: Was wir machen können und was wir auch tun, ist, im Bereich der Normung aktiv zu sein. Wenn es also beispielsweise um Standards für neue Produkte geht.

Mobilfunkstrahlung

Die Mobilfunkstrahlung zählt zur Gruppe der hochfrequenten elektromagnetischen Strahlung. Im 5G-Netz werden die Strahlen eher eine niedrige Reichweite und eine höhere Frequenz haben als die aktuellen. Das heißt: Mehr Strahlung wird an der Körperoberfläche absorbiert und weniger dringt in den Körper ein. Doch niedrigere Reichweiten bedeuten auch, dass mehr Masten benötigt werden. Um die Strahlung gering zu halten, empfiehlt das Umweltbundesamt, beim Kauf eines Smartphones auf den SAR-Wert zu achten. Dieses Maß gibt die Strahlung in Watt pro Kilogramm Gewebe an. Der SAR-Wert sollte nicht über 0,6 liegen. (taz)

taz: Kann das eine Norm sein? Als Standard­einstellung für Elektronikgeräte: WLAN aus?

Paulini: Solche Dinge sind grundsätzlich möglich, ja.

taz: Und würden Sie dafür sorgen?

Paulini: Wenn wir in einem Normungsprozess drin sind, dann wirken wir natürlich darauf hin, dass die Geräte so strahlungsarm wie möglich werden.

taz: In den kommenden Jahren wird ein neues Mobilfunknetz aufgebaut: 5G. Das soll beispielsweise ein schnelleres mobiles Internet ermöglichen. Die Mobilfunkmasten werden dann ganz anders aussehen als heute. Die Telekom hat zum Beispiel eine Antenne in einer Sitzbank ins Gespräch gebracht. Wird 5G mehr oder weniger problematisch als das, was wir jetzt haben?

Kühling: Wir erwarten, dass die Belastung steigt.

Paulini: Das ist eine Annahme, die weder durch Fakten gestützt ist, noch durch Messungen. Wir müssen ehrlich sagen: Wir wissen noch nicht, wie sich die Art, wie wir Strahlung ausgesetzt sind, ändern wird. Daher bauen wir gerade ein System auf, mit dem wir genau diese Fragen klären können, auf der Basis von Messungen. Denn möglich ist auch, dass die Belastung sinkt – zum Beispiel, weil der Datentransfer deutlich schneller geht. Außerdem gibt es neue Antennen, die Strahlen nicht mehr in alle Richtungen schicken, sondern nur in die Richtung des Empfängers.

Kühling: Aber genau diese neuen Antennen sind ein riesiges Problem. Die strahlen zwar nur noch in bestimmte Richtungen, aber die wechseln. Die Antennen strahlen nämlich immer da hin, wo jemand mit einem Smartphone gerade telefonieren oder streamen will. Das heißt: Es lässt sich nicht vorhersagen, wie hoch die Strahlung an einem bestimmten Punkt, etwa an einer Bushaltestelle, zu einem bestimmten Zeitpunkt sein wird. Oder war. Und das heißt auch: Betroffene können nicht einmal mehr dagegen klagen.

Paulini: Und genau deshalb untersuchen wir das.

Der neue Standard 5G

5G (steht für fünfte Generation) soll Produktionsprozesse in der Industrie genauso vernetzen wie alle möglichen Alltagsgeräte. Der neue Mobilfunkstandard macht mobiles Streamen und Surfen schneller. Zum aktuellen 4G-Netz (LTE) gibt es vor allem zwei Unterschiede. Der eine ist die Latenz, also die Reaktionszeit im Netz. Bei 5G soll diese bei unter einer Millisekunde liegen. Der zweite Unterschied ist die Datenrate. Die soll mit 5G zunächst auf 10 Gigabit pro Sekunde im Download steigen. Zum Vergleich: Die Telekom verspricht im aktuellen LTE-Netz bis zu 300 Megabit pro Sekunde. 10 Gigabit wären als eine Vervielfachung. Der Aufbau des 5G-Netzes hat bereits begonnen. (taz)

Kühling: Aber muss man nicht erst einmal klären, wie es überhaupt aussehen soll? Bevor wir das neue Netz aufbauen? Man weiß nicht, was da kommt, lässt es aber erst einmal zu.

taz: Sie sagen also: 5G erst mal nicht aufbauen?

Kühling: Ja, wir können Technik erst dann zulassen, wenn wir wissen, dass sie sicher ist.

taz: Wie wollen Sie denn beweisen, dass eine Technologie keine schädlichen Auswirkungen hat? Forschung kann doch keine Abwesenheit von Effekten belegen.

Kühling: Aber im Fall von Mobilfunk sehen wir doch zahlreiche Studien, die Effekte zeigen, wir können also doch schon sagen, dass es eben keine sichere Technologie ist.

taz: Genau wie mehrere deutsche Städte, etwa Hamburg, sollte auch Brüssel eine Pilotregion für das 5G-Netz werden. Doch vor einigen Monaten hat die Stadt das Projekt abgesagt. Die Begründung: Die Grenzwerte wären überschritten worden.

Paulini: Da gibt es zwei Fragen. Die erste: Hat man wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, dass diese Strahlung schädlich ist? Die haben wir nicht. Die zweite Frage ist: Wie geht man als Gesellschaft mit Veränderungen um? Wie werden die kommuniziert, wie werden betroffene Regionen eingebunden? Ich kann nicht über Brüssel sprechen, aber ich bin der Meinung, dass wir in Deutschland den Dialog über kommende Veränderungen deutlich verstärken müssen.

Praktisch oder gefährlich? Mobilfunkmast in Brandenburg. Mit der Einführung des 5G-Standards werden viele weitere ­Sendeanlagen notwendig Foto: Rainer Weisflog

taz: Wenn jetzt die Stadt Brüssel recht hat und hierzulande im 5G-Netz Grenzwerte überschritten werden. Würde das auffallen?

Paulini: Ja, es gibt ein Monitoring der Bundesnetzagentur. Das prüft, ob die für eine Genehmigung zugrundeliegenden technischen Daten der Wirklichkeit entsprechen.

Kühling: Aber die Frage ist doch: Wenn wir feststellen, dass der Gesundheitsschutz nicht ausreicht. Was machen wir denn dann? Der Staat hat die 5G-Frequenzen für Milliarden Euro versteigert. Da wird er doch nicht zu den Mobilfunkbetreibern sagen: Ihr haltet die strengeren Grenzwerte nicht ein, jetzt baut mal zurück. Durch diese Milliardeneinnahmen gibt es einen enormen Druck, der harte politische Maßnahmen verhindern wird.

taz: Frau Paulini, teilen Sie denn den Gedanken, dass wir uns als Gesellschaft in einer Situation befinden, in der es schwierig bis unmöglich ist, bestimmte Schritte wieder rückgängig zu machen?

Paulini: Ich denke, das ist bei jeglicher Infrastruktur so. Egal ob bei Stromleitungen, Bahnnetzen oder Autobahnen. Das ist die Geschichte des technischen Fortschritts. Und wenn der technische Fortschritt Wege einschlägt, auf denen die Gesundheit der Bevölkerung Schaden nehmen könnte, dann werden wir tätig.

taz: Herr Kühling, Ihr Appell ans Bundesamt für Strahlenschutz?

Kühling: Meine Forderung ist, die Vorsorge ernst zu nehmen. Das Grundgesetz legt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen fest. Und der ist eben nicht mehr nur durch Abgase oder Pestizide gefährdet, sondern auch durch Mobilfunkstrahlung.

Frau Paulini, Ihre Botschaft an alle Leser, die davon ausgehen, dass Mobilfunkstrahlung krank macht?

Paulini: Die Grenzwerte, die in Deutschland gelten, schützen uns. Wie stark wir der Strahlung ausgesetzt sind, kann aber jede und jeder selbst beeinflussen, denn die stärkste Strahlungsquelle ist unser Mobiltelefon. Statt also zu telefonieren, sollten wir öfter mal von Mensch zu Mensch ­sprechen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen