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Wahl in Belarus: Opposition ist raus

Regimetreue Kandidaten haben am Sonntag alle Sitze erobert. 70 Prozent der Abgeordneten sind neu im Parlament

Ein Soldat verlässt in Minsk die Wahlkabine. Für ­Oppositionelle hätte er in vielen Fällen gar nicht erst abstimmen können, da sie nicht registriert wurden Foto: Sergei Grits/ap

Aus Minsk und Bolschewik Paul Flückiger

Es ist eine Rekordwahl in Weißrussland: Noch nie haben laut offiziellem Ergebnis so viele Bürger abgestimmt, noch nie war ihre Wahl so eindeutig und noch nie wurde das Parlament so stark erneuert. Nach bisherigen Angaben aus allen gut 5.000 Wahllokalen haben regimetreue Kandidaten 100 Prozent der Sitze erobert.

Unter den 110 Abgeordneten der Großen Kammer befinden sich demnach keine Oppositionellen mehr. Noch 2016 musste der autokratisch regierende Staatspräsident Aleksander Lukaschenko auf massiven Druck der EU und USA hin zwei oppositionelle Kandidatinnen als Abgeordnete akzeptieren. 70 Prozent der Abgeordneten sind zum ersten Mal im handverlesenen Parlament Lukaschenkos. Darunter befindet sich dessen Lieblingstänzerin, die 22-jährige Maria Wasilewitsch, die amtierende „Miss Belarus“.

Die Wahlbeteiligung lag offiziell bei 77 Prozent. Fast die Hälfte davon wurde bei der vorzeitigen Stimmabgabe erreicht, einer Praxis, die von der OSZE seit Jahren kritisiert wird, weil sie Fälschungen Tür und Tor öffnet. Dieses Jahr sollen 35,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme in den fünf Tagen vor der Wahl abgegeben haben.

„Diese Parlamentswahlen waren die unfairsten seit Jahren“, kritisierte am Montag in der Minsker Altstadt die weissrussische Wahlbeobachtervereinigung „Für freie Wahlen“ vor der Presse. Noch nie seien so viele Oppositionelle gar nicht registriert oder später ausgeschlossen worden, noch nie so wenige aus der Opposition in die Wahlkommissionen aufgenommen worden – gerade einmal 21 von fast 64.000 Mitgliedern.

„98,7 Prozent der Wahlbeobachter konnten den Stimmzählungsprozess weder beobachten noch nachprüfen“, klagt am Montag Wladimir Labkowitsch von der Menschenrechtsorganisation Wiasna. „Diese Wahlen genügten weder unseren nationalen noch internationalen Standards“, unterstrich Oleg Gulak vom Helsinki Komitee. Alles sei so intransparent, dass man nicht einmal wisse, wie viele Bürger überhaupt abgestimmt hätten. Nur bei einer Mindestteilnahme von 50 Prozent sind die Parlamentswahlen laut der weißrussischen Verfassung gültig.

Den Anschein einer perfekt demokratischen Wahl macht am Sonntag im Dorf Bolschewik nördlich von Minsk das Wahllokal Nummer 36 im Amtsgebäude des Dorfsowjets. Sechs Kandidaten stehen zur Auswahl, je drei Frauen und drei Männer, darunter der oppositionelle Sozialdemokrat Igor Lobkow. Eine lokal beliebte regime-treue Anwältin ist jedoch kurzfristig zurückgezogen worden. „Sie hat Gesetze gebrochen, welche, darf ich nicht verraten“, teilt Wahlkommissionsleiterin Swetlana Raketskaja mit. Raketskaja muss zuerst telefonisch in der Hauptstadt Minsk Rücksprache halten, bevor sie Auskünfte erteilen darf. Dazu gehören dann weder Beteiligung bei der vorzeitigen Stimmabgabe noch das aktuelle Wähleraufkommen.

„Diese Wahlen waren die unfairsten seit Jahren“

Wahlbeobachtervereinigung „Für freie Wahlen“

Das Wahllokal bleibt die meiste Zeit leer, soviel ist mit bloßem Auge ersichtlich. Mangels Wählern führt Raketskaja zu zwei versiegelten hölzernen Mini-Urnen. „Wer zu schwach ist, zur Urne zu gehen, dem bringen wir sie gratis ins Haus“, erklärt die Wahlleiterin stolz.

Die OSZE kritisierte die Wahlen am Montag als „nicht demokratischen Standards genügend“. „Über die internationale Anerkennung mache ich mir keinen Kopf. Wenn meinen Bürgern solche Wahlen nicht passen, können sie mich im nächsten Jahr ja abwählen“, höhnte Lukaschenko in der Wahlnacht. Nach 25 Amtsjahren will sich der Autokrat 2020 erneut vom Volk bestätigen lassen.

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