talk of the town
: Netter Versuch

Twitter will keine bezahlten politischen Anzeigen mehr annehmen. Das ist sicher nicht falsch, geht aber am Problem der Plattform vorbei

Wenn zum Beispiel US-Präsident Trump, wie am Mittwoch, ein Foto von diesem Hund tweetet, der sich bei der Verfolgung von IS-Chef al-Baghdadi verletzt hatte, dann ist das politische Werbung, auch wenn niemand dafür bezahlt Foto: Weißes Haus/ap

Von Daniél Kretschmar

Es brauchte nur ein paar Tweets, um Mark Zuckerberg in der öffentlichen Wahrnehmung an die Wand zu spielen. Jack Dorsey, CEO des Kurznachrichten­dienstes Twitter, ­verkündete am Mittwoch auf der eigenen Plattform, dass diese in Zukunft keine bezahlten politischen Anzeigen mehr annehmen werde. Das soll sowohl unmittelbare Wahlwerbung als auch sogenannte ­issue ads betreffen, Anzeigen also, die eine bestimmte Sichtweise auf umstrittene gesellschaftliche Themen wie Schwangerschaftsabbrüche und Einwanderung bewerben. Die Details der neuen Regelung werden in den kommenden zwei Wochen bekannt gegeben, in Kraft treten soll sie noch im November.

Im Widerspruch zu Facebook-Chef Zuckerberg, der ­heftiger Kritik an seinem Umgang mit politischen Werbeanzeige ausgesetzt ist, erklärte Dorsey, dass es sich nicht um eine Frage der Meinungsfreiheit, sondern schlicht um bezahlte Reichweite handele. Geschäft ist also Geschäft, nur eben ein anderes als bei der Konkurrenz. So will Facebook Wahlwerbung nicht einmal bei gröbsten Lügen unterbinden. Es liege nicht an Unternehmen zu entscheiden, wer sprechen und was gesagt werden dürfe, erklärte Zuckerberg.

Wie viel Umsatz Twitter durch die Maßnahme verloren gehen wird, legte Dorsey nicht offen. Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil politischer Anzeigen auf Facebook etwa 0,5 Prozent (etwa 250 Millionen Dollar) des gesamten Umsatzes ausmacht, bei Twitter dürften die Zahlen weitaus niedriger sein.

Der Streit über politische Werbung in sozialen Medien berührt einen wichtigen Punkt politischer Meinungsbildung. Wie auch bei Plakatwerbung, Anzeigen in Printmedien oder Clips im Fernsehen können für Posi­tio­nen mit starkem finanziellem Rückhalt größere Reichweiten gekauft werden.

Das gilt in besonderem Maße für die USA, wo für fast jeden politischen Streitpunkt und die Kandidat*innen aller politischen Lager Einfluss und Macht gerne daran gemessen werden, wie viel Geld die jeweiligen Kampagnen mobilisieren können. Anders als auf den klassischen Wegen jedoch haben durch Effekte wie virale Reichweiten in sozialen Medien auch Positionen von Minderheiten oder solche ohne große Kriegskasse eine Chance auf großflächige Wahrnehmung.

Die Qualität der Debatte auf Twitter wird sich auch ohne politische Anzeigen nicht ändern

Die Qualität der politischen Debatte wird sich durch die Abschaffung politischer Anzeigen auf Twitter derweil nicht ändern. Das Unvermögen oder der Unwille des Plattformbetreibers, zivile Umgangsformen durchzusetzen und der rasanten Verbreitung von Hassrede, Rassismus und Sexismus vorzubeugen, bleibt von der Maßnahme unberührt. Die großen Reichweiten eines bestimmten Politikertypus (man denke an Donald Trump, natürlich, der braucht überhaupt nicht zu bezahlen) werden ebenfalls nicht angefasst.

Vordringlicher als das relativ kleine Problem mit politischen Anzeigen auf Twitter wäre die energische Umsetzung transparenter Richtlinien zum Schutz der Nutzer*innen vor Bedrohung und Hass auf Twitter.

Solange organisierte Trolle dort Stimmen aus dem eher linken Spektrum regelmäßig mit konzertierten Mel­de­ak­tio­nen zum Schweigen bringen, ihr Hass aber keinerlei Sanktion erfährt, ist der Applaus für Jack Dorsey wohl etwas voreilig. Manchmal ist eben auch ein Schritt in die richtige Richtung nur eine Simulation; um bloß nicht wirklich an die Wurzel des Übels gehen zu müssen.