Linken-Politikerin über Stress: „Dann mache ich keine gute Arbeit“
Weil zwei Abgeordnete Schwächeanfälle erlitten, klagt Anke Domscheit-Berg über Überlastung im Parlament. Eine Verkleinerung des Bundestags sei fatal.
taz: Frau Domscheit-Berg, am Donnerstag haben zwei Abgeordnete im Plenum Schwächeanfälle erlitten, darunter ihre Fraktionskollegin Simone Barrientos. Wie geht es ihr?
Anke Domscheit-Berg: Es soll ihr den Umständen entsprechend besser gehen, es scheint nichts gravierendes zu sein.
Sie haben daraufhin auf Twitter über die Arbeitsbelastung im Bundestag geklagt. War das bisher ein Tabuthema?
Absolut. Ich bin gewarnt worden, überhaupt darüber zu reden und auch schon von einigen Abgeordneten dafür geschimpft worden, weil es doch nur einen Shitstorm ergebe. Aber ich bin auch von vielen Abgeordneten der demokratischen Parteien angesprochen worden: Endlich hat es mal eine gesagt.
Anke Domscheit-Berg, 51, ist parteiloses Mitglied der Linksfraktion im Bundestag.
Auf Twitter haben Sie geschrieben, die Arbeitsbedingungen im Bundestag seien menschenfeindlich. Was müsste geschehen, damit sich das ändert?
So ein Kreislaufkollaps hat möglicherweise mit Dehydrierung zu tun. Das Verbot, im Bundestag Wasser zu trinken, könnte man einfach aufheben. Schwierig wird es mit dem Arbeitsvolumen. Im Bundestag sitzen sechs Fraktionen, die alle ihre Duftmarken setzen wollen, mit eigenen Gesetzesinitiativen, eigenen Entschließungsanträgen. Da kommt mehr Output raus und der will besprochen werden. Da könnte jede Fraktion mehr Selbstdisziplin wahren lassen, sich etwas zurücknehmen und weniger Anträge stellen.
Es wäre eine Lösung, wenn sich die politischen Kräfte selbst einschränken?
Gerade für die Opposition ist das natürlich schwierig, weil sie weniger Möglichkeiten hat, politisch wirksam zu sein.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat in dieser Woche vorgeschlagen, den Bundestag zu verkleinern und die Zahl der Minister und Staatssekretäre zu reduzieren. Müssten dann nicht weniger Abgeordnete und Regierungs-Mitarbeiter noch mehr Arbeit stemmen?
Aus Sicht einer Groko-Partei kann man das so fordern, weil sie ein paar hundert Abgeordnete haben und womöglich ein paar Hinterbänkler, auf die sie verzichten können. Aber Fraktionen von unserer Größe oder der Grünen: Wie man da mit noch weniger Leuten noch mehr Arbeit schaffen soll, ist mir völlig schleierhaft. Ich bin Mitglied in drei Ausschüssen. Soll ich dann Mitglied in noch mehr Ausschüssen sein? Dann mache ich keine gute Arbeit mehr.
Auf Twitter haben Sie geschrieben: „Wenn man gute Politik haben möchte, muss man gute Arbeitsbedingungen dafür schaffen.“ Was heißt für Sie „gute Politik“?
Als Fachpolitikerin brauche ich Zeit für Recherche, muss mich informieren über mein Fachgebiet, damit ich mir überhaupt kluge Gedanken machen kann, wie man die besten Lösungen findet. Das geht nicht, wenn ich keine Zeit habe.
Wie könnten die Abgeordneten zumindest bei der Arbeit im Bundestag mehr Zeit bekommen?
Man sollte die Präsenzzeit im Plenum begrenzen: Ab Mitternacht geht wirklich alles nur zu Protokoll.
Würden dann wichtige Entscheidungen womöglich später zustande kommen?
Wenn es einen gemeinschaftlichen Konsens gibt, dass ab einer bestimmten Uhrzeit die Reden zu Protokoll gegeben werden, ist immer noch eine Entscheidung möglich. Niemand verfolgt nachts um drei Uhr eine Debatte. Und wenn es mehrere Lesungen zu einem Gesetz gibt, kann man ja nur eine öffentlich machen, dann gab es eine Livedebatte. Alle sechs Fraktionen müssen disziplinierter werden.
Sollten die Debattenzeiten verkürzt werden?
Man müsste die Balance verändern. Im Moment entspricht der Redeanteil einer Partei dem Anteil im Parlament. Bei einer typischen 38-Minuten-Debatte haben wir und die Grünen etwa vier Minuten, die großen Parteien haben sehr viel mehr Zeit. Es muss ja nicht sein, dass jede Partei die gleiche Redezeit hat, aber es muss nicht eine Partei dreimal so viel haben wie die andere, weil sie erzählen ja meist dreimal das Gleiche.
Inwiefern arbeiten ausgeschlafene Politiker besser?
Die Gesetze sind dann nicht schlampig und fehlerhaft, die sind oft mit heißer Nadel gestrickt. Zum Beispiel beim Klimapaket, oder bei den Koalitionsverhandlungen: Mir kann doch keiner erzählen, dass man nach 20 Stunden am Stück miteinander intelligent reden kann. Am Ende kommen schlechte Kompromisse zustanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja