Mauerfall-Gedenken im Kiez: Die Gethsemanekirche flimmert

In Prenzlauer Berg werden die Anwohner qua Videoprojektion en passant und mitten in ihrem Alltag vom Mauerfall eingeholt.

Schöner war sie selten: Die Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg Foto: Fabrizio Bensch/Reuters

Mensch, sieht das schön aus“, sagt eine ältere Dame mit kleiner Handtasche und schwäbischem Akzent, als sie auf der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg um die Ecke biegt und plötzlich vor der bunt flimmernden Gethsemanekirche steht. „Ach ja, es ist ja 30 Jahre Mauerfall“, fällt ihr ein und sie schaut sich die 15-minütige Videoprojektion mit historischen Filmaufnahmen, Zeitzeugenberichten und eindrucksvollen Licht- und Soundeffekten gleich zwei Mal an.

Die ist anlässlich des Mauerfalljubiläums an diesem Montagabend zum ersten Mal und noch bis Sonntag täglich nach Einbruch der Dunkelheit auf der Kirche zu sehen – genauso wie am Alexanderplatz, am Europacenter, in der Stasi-Zentrale, am Humboldt Forum und an der East Side Gallery.

Die Gethsemanekirche ist vielleicht der letzte der genannten Orte, den die BerlinerInnen mit dem Mauerfall assoziieren, aber doch war die Kirche ein Brennpunkt der friedlichen Revolution. Über ein Kontakttelefon konnten sich hier Oppositionelle und Friedensbewegte vernetzen.

Als am 7. Oktober 1989 Demonstranten am Palast der Republik abgewehrt wurden, die die Feierlichkeiten anlässlich des 40. Geburtstages der DDR stören wollten, zogen sie weiter zur Gethsemanekirche. Schon seit dem 2. Oktober war die Kirche Tag und Nacht geöffnet, es gab Mahnwachen, Diskussionsveranstaltungen.

„Ach, das hatte ich fast vergessen“

Als am Montagabend das Video noch einmal das Meer brennender Kerzen zur Gethsemanekirche holt, das vor 30 Jahren den ganzen Vorplatz erhellte, wirken viele der mal um die 50, mal um die 100 Zuschauer auf den Bürgersteigen um die Kirche berührt, auch wenn sie eher zufällig auf dem Weg von der Arbeit oder vom Einkauf nach Hause vorbeigekommen zu sein scheinen.

Eine Mutter versucht, ihrem Vorschulkind zu erklären, was Grenzen sind, ein älterer Herr, der angibt, seit 20 Jahren im Kiez zu wohnen, versucht, auf seinem Handy ein Video von der Kirche an den Sohn in Hamburg zu schicken. Auf der Kirche erscheinen die Gesichter wichtiger Oppositioneller wie Bärbel Bohley und Marianne Birthler, aber auch das von Schauspieler Ulrich Mühe, der am 4. November 1989 bei der großen Demo auf dem Alexanderplatz Artikel 27 der DDR-Verfassung zitiert: „Jeder Bürger der DDR hat das Recht, seine Meinung frei und öffentlich zu äußern.“ – „Ach, das hatte ich fast vergessen“, murmelt eine Frau.

Für den einen war Linkssein mit dem antifaschistischen Staat DDR verbunden. Für die andere war Che Guevara in Argentinien gefühlt näher als das ehemals sozialistische Ostdeutschland. Ein persönliches Gespräch über Erinnerungen an den Mauerfall, die Unsicherheit nach der Wende und linke Identität als Ossi oder Wessi. Eine Sondersendung des taz-Podcasts Lokalrunde - das Stadtgespräch aus Hamburg und Berlin.

Es ist schön, an diesem Montag die Menschen beim Kommen und Gehen zu beobachten, dabei, wie sie mitten in ihrem Alltag en passant von einem historischen Ereignis eingeholt werden. Die Idee, dass es bei diesem Jubiläum nicht einen zentralen Ort, eine einzige Großveranstaltung des Gedenkens geben soll: Hier an der Gethsemanekirche funktioniert sie wunderbar.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.