: Lieber geschlossen als „zweckentfremdet“
Am „Szenetreff“ am Hauptbahnhof gibt‘s statt eines Dixi-Klos nun eine öffentliche Toilettenanlage. Ab nachmittags ist die kostenpflichtig und über Nacht ist sie verschlossen
VonSimone Schnase
Sonderlich attraktiv ist der im Frühling eröffnete „Szenetreff“ am Hauptbahnhof nicht: Umgeben von einem zwei Meter hohen Gitterzaun unter der Fahrradbrücke neben dem stark befahrenen Gustav-Deetjen-Tunnel gibt’s ein paar Bänke – und bis vor kurzem stand dort ein Dixi-Klo. Immerhin das ist weg, ausgetauscht gegen eine vernünftige Toilettenanlage.
Die war dort eigentlich gar nicht vorgesehen, sondern am Hugo-Schauinsland-Platz, als Ersatz für die dortige, völlig heruntergekommene Anlage. „Erfahrungen zur zweckentfremdeten Benutzung der Anlage aus den letzten acht Jahren am Standort Hugo-Schauinsland-Platz haben uns bewogen, die Anlage zu verlegen“, heißt es dazu bei der Bremer Stadtreinigung. „Qualitätskriterien dabei waren: bessere Erreichbarkeit und Sozialkontrolle am neuen Standort.“ Die Innere Mission (IM), deren Wohnungslosenhilfe den „Szenetreff“ betreut, habe eine Toilettenanlage für den Treffpunkt wohnungsloser und drogenabhängiger Menschen gewollt, „was wegen der Kosten nicht möglich war. Da wir schon länger einen geeigneteren Standort suchen, hat es sich angeboten, die Kosten als öffentliche Anstalt zu tragen und allen etwas Gutes zu tun.“
Damit meint die Stadtreinigung zu einem guten Teil sich selbst, denn: Von acht bis 16 Uhr wird das neue Klo durch die Innere Mission betreut: Ein Streetworker hat dann die Schlüsselgewalt. Von 16 bis 22 Uhr kostet die Toilette 50 Cent und danach ist sie – außer für Menschen mit Behinderung, die das Klo mit einem EU-Schlüssel öffnen und schließen können – bis sieben Uhr morgens verriegelt. „Die Erfahrung hat einfach gezeigt, dass sich die nächtliche Nutzung nicht kontrollieren lässt und dann eine Zweckentfremdung stattfindet – selbst mit dem Schließmechanismus“, heißt es dazu bei der Stadtreinigung. Zweckentfremdung bedeutet: Drogenabhängige könnten die Toilette als Druck- und Aufenthaltsraum benutzen.
Dass die Toilette ab 16 Uhr kostenpflichtig ist, hat mit den Öffnungszeiten des „Szenetreffs“ zu tun, denn dann schließt er, der Zaun wird dann dicht gemacht. „Die Leute, die Platte machen, bleiben ohnehin nicht länger“, sagt dazu Axel Brase-Wentzell, stellvertretender Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission. „Die sagen, sie müssten los, weil sie dann ihre Platte sichern müssen.“ Allerdings hätten viele der Szenetreff-BesucherInnen, unter ihnen viele Drogenabhängige, ein Zuhause: „Das verlassen sie morgens und kommen dann zum Treff – und für die ist die frühe Schließzeit durchaus ein Problem.“
Bei den Öffnungszeiten des Szenetreffs, sagt Brase-Wentzell, gebe es Verbesserungsbedarf, und auch an Schutzmöglichkeiten vor Kälte müsse noch gearbeitet werden: „Wir sind mit der BSAG im Gespräch, damit an der Bürgerweide wieder ein Wärmebus aufgestellt wird, aber das kann ja keine dauerhafte Lösung sein.“ Sollte es auch eigentlich nicht: Als jener Bus im vergangenen Winter zur Verfügung gestellt wurde, hieß es, er sei bloß eine „Übergangslösung“, bis der Szenetreff fertig sei. Der allerdings bietet durch die Brücke zwar ein bisschen Schutz vor Regen, aber Kälte und eisigen Wind hält die nicht ab. „Die Kälte ist ein Problem“, sagt Brase-Wentzell.
Und zwar für viele Menschen, denn der Treff wird besser frequentiert als erwartet: „Die Resonanz auf den Platz ist wirklich groß und die Menschen übernehmen dort Verantwortung und achten darauf, dass die Spielregeln eingehalten werden“, sagt Brase-Wentzell. Für die Wohnungslosenhilfe sei es durch den Treff leichter geworden, die Menschen „anzusprechen und zu orientieren, zum Beispiel jetzt, bei der Kälte, in die Notunterkünfte.“
Dass das Dixi-Klo am Szenetreff gegen eine vernünftige Toilette ausgetauscht wurde, freut ihn zwar, dass sie nach vier Uhr kostenpflichtig und über Nacht geschlossen ist, allerdings nicht: „Öffentliche Klos sollten kostenlos sein: Wer bettelt, gibt von diesem Geld nichts für eine Toilette aus, sondern hockt sich eben doch in die Wallanlagen oder woanders hin.“
Axel Brase-Wentzell, Innere Mission
Und die „Zweckentfremdung“ öffentlicher Toiletten könne durch die Schaffung eines Drogenkonsumraums vermieden werden. Solche Druckräume gibt es bereits in vielen anderen Städten, in Bremen ist die Einrichtung ebenfalls geplant: „Aber hier hängt, wie bei all den anderen Dingen, natürlich alles von der Finanzierung ab – man wird sehen, ob und wie viel Geld dafür im Haushalt noch da sein wird.“
Zwar hat die Stadtreinigung in der Markthalle bereits ein öffentliches Klo installiert und wenn’s klappt, soll es bis Anfang 2021 auch im Hauptbahnhof eines geben: „Erste Gespräche dazu wurden aufgenommen“, heißt es dazu vage von der Stadtreinigung. Aber auch die Toilette in der Markthalle kostet „ein Einlassgeld von 50 Cent, um die Reinigungskosten zu decken“, erklärt die Stadtreinigung. Dafür soll am Hugo-Schauinsland-Platz ein öffentliches, kostenfreies Urinal installiert werden, um das männliche Wildpinkeln rund um den Bahnhof ein bisschen einzudämmen.
Darüber hinaus verweist die Stadtreinigung auf „Die nette Toilette“: Dabei erhalten gastronomische Betriebe von der Stadt eine Vergütung, damit die ihre Klos auch Nicht-KundInnen kostenlos zur Verfügung stellen. Über die App „Nette Toilette“ können die entsprechenden Kneipen und Restaurants gefunden werden. Wo sie zu liegen, soll zukünftig aber noch stärker kommuniziert werden, teilt die Stadtreinigung mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen