Klimakrise und Moral: Wissenschaft als Maßstab?

Wissenschaftliche Erkenntnisse klären auf, beim Klima zum Beispiel. Aber Schlussfolgerungen für richtiges Handeln muss die Politik ziehen.

Ein Seegelboot rast über das Wasser

Die Wissenschaft als solche kann nicht sagen, ob man die Welt auch verändern soll Foto: Team Malizia/reuters

Als Greta Thunberg zum UN-Klimagipfel in einer Rennyacht über den Atlantik aufbrach, prangten auf Mast und Segel neben ihrer Losung „Fridays for Future“ auch die Worte „Unite behind the Science“. Also: Vereint euch hinter der Wissenschaft! Doch was kann damit gemeint sein?

Für eine Klärung muss man sich vor Augen führen, was Wissenschaft kann. Eine schlichte Antwort lautet: Sie kann von Haus aus Wissen schaffen. Und zwar nicht irgendwelches Wissen, sondern präzises, überprüfbares und überprüftes, zuverlässiges Wissen mit transparenter Herkunft. Doch kann Wissenschaft mehr liefern als verlässliche Beschreibungen der vergangenen und gegen­wärtigen Welt sowie Voraussagen zur zukünftigen?

Bereits vor 100 Jahren hat Max Weber darauf verwiesen, dass Wissenschaft die Gültigkeit von Normen nicht festlegen kann. Sie kann die Welt beschreiben, wie sie war, ist und sein wird und wie man die Welt verändern könnte – das macht sie höchst erfolgreich. Aber sie kann als Wissenschaft nicht sagen, ob man die Welt auch verändern soll.

Dazu besitzt sie weder die moralische noch politische Autorität. Konkret für den Klimawandel: Die Wissenschaft kann den Wandel des Klimas vorhersagen und die Auswirkungen möglicher Gegenmaßnahmen prognostizieren. Aber als Wissenschaft kann sie nicht sagen, dass man den Klimawandel stoppen soll.

Nur Wenn-dann-Aussagen

Es verbleiben ihr nur Wenn-dann-Aussagen. Wenn man den Temperaturanstieg auf 2 Grad begrenzen will, weil man weiß, was jenseits dessen passieren wird, und dies nicht eintreten soll, dann möge man bestimmte Interventionen durchführen. Die Wissenschaft kann in diesem Sinne Empfehlungen geben, die aber stets auf Voraussetzungen beruhen, deren Gültigkeit sie selbst nicht festlegen kann. „Unite behind the science“ kann also streng genommen nur zur Akzeptanz des wissenschaftlichen Wissens aufrufen.

Ob die Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad begrenzt werden soll, ist eine pragmatische politische Entscheidung

Das wendet sich an die Leugner wissenschaftlicher Erkenntnisse. Zu denen gehört nicht nur US-Präsident Donald Trump. Auch die AfD zweifelt wissenschaftliche Erkenntnisse mit hanebüchenen Argumenten an („Die Sonne ist schuld!“, „CO2 ist eine gute Gabe Gottes“).

Der Aufruf, sich hinter der Wissenschaft zu vereinen, hat aber genau betrachtet keine direkten Auswirkungen auf die Frage, ob man den Klimawandel bekämpfen soll, weil die Wissenschaft dazu als Wissenschaft nur Wenn-dann-Aussagen machen kann. Nun muss man allerdings davon ausgehen, dass die meisten Menschen derartige Differenzierungen gar nicht für notwendig halten. Sie werden den Aufruf in dem Sinne verstehen, man möge den Empfehlungen der Wissenschaft folgen.

Das ist auch vernünftig. Die Klarheit der Argumentation gebietet, darauf hinzuweisen, dass die Verhinderung des Klimawandels eine politische Entscheidung aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, aber eben keine wissenschaftliche Entscheidung. Dies zu verkennen, würde eine szientistische Neutralisierung politischer Verantwortung befördern.

Die Wissenschaft ist kein Staatenlenker

Es wäre dann keine politische Entscheidung, was wir wollen, sondern eine nüchterne, wissenschaftlich objektive, der man aus diesem Grunde nur folgen kann. Dem ist aber nicht so. Ob die Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad oder irgendwo dazwischen begrenzt werden soll, ist eine pragmatische politische Entscheidung.

Der Slogan läuft überdies Gefahr, die Verantwortung von Institutionen zu vernebeln. Die Wissenschaft ist kein Staatenlenker. Das sollte politische Institutionen nicht davon abhalten, sich bei der Wissenschaft zu informieren. Sie können ihre Verantwortung aber nicht auf die Wissenschaft abwälzen.

Wenn es zu katastrophalen Auswirkungen kommt, können die politisch verantwortlichen Institutionen eben nicht den schwarzen Peter an die Wissenschaft weiterreichen. Sie könnten die Wissenschaft allenfalls für schlechte wissenschaftliche Arbeit verantwortlich machen. Aber bislang haben sich deren Prognosen zum Klimawandel leider bestätigt.

Nun könnte man gegen derart feinsinnige Unterscheidungen einwenden, die Ziele der Klimapolitik seien so eindeutig, dass man sie gar nicht mehr ausweisen muss. Man kann die Konsequenzen einer Erderwärmung von mehr als 1,5 oder 2 Grad einfach nicht wollen. Und weil dieses Ziel nicht ernsthaft zur Debatte steht, möge man sich hinter der Wissenschaft vereinen, die die Konsequenzen vor Augen führt. Doch das ändert nichts daran, dass die Höhe der noch akzeptablen Erderwärmung nur politisch bestimmt werden kann.

Selbst Nobelpreisträger haben nur eine Stimme

Dies schlägt sich auch in der Rolle eines Wissenschaftlers nieder. Wenn man aufgrund seiner Arbeit besonders gut informiert ist, dann muss man dies mitteilen. Genau diese Informationen braucht eine offene, demokratische Gesellschaft. Doch wenn es darum geht, gegen den Klimawandel zu kämpfen, verlässt man streng genommen die Rolle eines Wissenschaftlers und schlüpft in die eines Bürgers. Und es steht informierten Bürgerinnen und Bürgern gut an, Engagement einzubringen.

Doch deswegen erlangt man selbst als bestens informierter Experte in einer Demokratie kein privilegiertes Wahlrecht und keinen politischen Sonderstatus. Selbst Nobelpreisträger haben bei Wahlen exakt eine Stimme.

„Unite behind the science“ verweist auf die Rolle der Wissenschaft in hochkomplexen Situationen und demokratischen Gesellschaften. Es ist ein offenkundig notwendiger Aufruf, die besten Beschreibungen der Welt und Prognosen, die wir haben, zu akzeptieren. Das Motto appelliert an ein rationales Fundament in der Politik. Mehr nicht.

Die politischen Entscheidungen müssen folgen, und sie haben einen anderen Charakter als wissenschaftliche Erkenntnisse. Damit sei einer Relativierung der politischen Dringlichkeit keineswegs das Wort gesprochen. Es geht nur um Klarheit der Argumente und politische Verantwortung, derer man sich nicht entledigen kann.

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Urban Wiesing ist Arzt und Philosoph und Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen. Er ist Mitglied der Ethikkommis­sion des Weltärztebundes und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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