Geschönte Geschichte

Japanologen beklagen die Streichung von Fördergeldern für die Ausstellung „Einschränkung der Ausdrucksfreiheit, danach“, die japanische Kriegsgräuel aufgreift

Möchten die Revisionisten nicht sehen: Skulptur „Mädchen des Friedens“ Foto: Jiji Press/picture alliance

Von Martin Fritz

Ein ungewöhnlicher Vorgang hat ungewöhnliche Reaktionen hervorgerufen: Das japanische Bildungsministerium hat bereits zusagte Fördergelder von umgerechnet 660.000 Euro für die diesjährige Aichi-Triennale gestrichen. Darauf forderten 158 internationale Japanexperten, darunter 99 Professoren aus 21 Ländern, die japanische Regierung auf, das Kunstfestival weiter zu unterstützen und die Meinungsfreiheit von Kunst und Wissenschaft sicherzustellen.

Auch in Japan wurde heftig gegen die Entscheidung protestiert. Hideaki Omura, Gouverneur der Präfektur Aichi, nannte die Entscheidung „einen offensichtlichen Verstoß gegen Artikel 21 der japanischen Verfassung“, der die Meinungsfreiheit garantiert. Der Gouverneur will gerichtlich gegen die Streichung der Subvention vorgehen. Die liberale Zeitung Asahi meinte, das Vorgehen könnte international zu Misstrauen und Verachtung führen. Die Zeitung Mainichi kommentierte, die Politik sollte keine Ausstellungsinhalte mithilfe von Subventionen bestimmen. Stein des Anstoßes ist die Sonderschau „Einschränkung der Ausdrucksfreiheit, danach“ mit Werken, die andere Kunstausstellungen abgelehnt oder entfernt hatten.

Darunter sind Fotokollagen mit Kriegskaiser Hirohito sowie die Skulptur „Mädchen des Friedens“. Das Werk des koreanischen Künstlerpaares Kim Seo-Kyung und Kim Eun-Sung erinnert an zahllose koreanische Zwangsprostituierte – sogenannte „Trostfrauen“ – in Bordellen der Kaiserarmee im Zweiten Weltkrieg. Die erste Skulptur der Kims steht seit acht Jahren vor Japans Botschaft in Südkoreas Hauptstadt Seoul.

Bildungsminister Koichi Hagiuda bestritt, die Fördergelder wegen des Inhalts der Ausstellung zurückgezogen zu haben. Doch die Unterzeichner der Petition sehen die Meinungsfreiheit bedroht und verlangen die Wahrung der Verfassungsrechte von Künstlern, Journalisten und Wissenschaftlern. Der Japanologe Reinhard Zöllner von der Universität Bonn erklärte, das Amt für kulturelle Angelegenheiten hätte „eindeutig“ in politischem Auftrag gehandelt. Bislang sei vor allem kritischen Zeitungen und Rundfunksendern mit dem Entzug von Subventionen und Lizenzen gedroht worden. „Aber die Bestrafung einer Kunstausstellung durch eine staatliche Behörde bedeutet eine neue Qualität im Umgang mit der Kriegsvergangenheit“, sagte Zöllner der taz.

Patriotische Schulbildung und Abkehr vom Pazifismus der Verfassung

Mit ihrer Unterschriftenaktion machen die internationalen Japanologen auch darauf aufmerksam, dass die Kontroverse um die Sonderschau kein Einzelfall ist. Denn offizielle Stellen, ranghohe Politiker und ultrakonservative Aktivisten üben schon länger starken Druck auf Medien, Künste und Wissenschaft aus, ein positives Bild von Japan zu zeichnen. Andersdenkenden drohen sie Gewalt, Boykott und Strafverfolgung an. Auch die Aichi-Triennale wurde von Protestanrufen überflutet. Als ein anonymes Fax einen Brandanschlag ankündigte, musste die Sonderausstellung nach nur drei Tagen schließen. Erst für die letzten Tage der Triennale öffnete sie unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen wieder für eine begrenzte Zahl von BesucherInnen. Hinter dem Telefonterror steckt keineswegs spontane Bürgerwut. Vielmehr wirkt der Protest, als sei er gut organisiert, berichtet Triennale-Leiter Daisuke Tsuda. Viele Anrufer lesen ihre Argumente offenbar von vorbereiteten Statements ab, wie ihm seine Mitarbeiter berichteten. Zu solchen Aktionen ist nach Ansicht von Beobachtern nur die Organisation Nippon Kaigi (Japan-Konferenz) fähig.

Gehört zum Establishment

Die geschichtsrevisionistische Sammlungsbewegung setzt sich seit 1997 laut Selbstdarstellung für die „Wiederherstellung eines schönen Japans und den Bau einer stolzen Nation“ ein. Darunter fallen etwa die patrio­tische Erziehung in den Schulen, die Überarbeitung der pazifistischen Verfassung und eine Rückkehr zu einem kaiserzentrierten System. Ihre 2016 gegründete Unterorganisation Historical Awareness Research Committee führt „Kulturkämpfe“, so ein Buchtitel der konservativen Zeitung Sankei, gegen angeblich falsche und übertriebene Darstellungen von japanischen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg. Vielmehr hätten sich die „Trostfrauen“ freiwillig prostituiert und seien nicht von der japanischen Armee rekrutiert worden. Auch das Massaker von Nanking leugnet dieser Arm der Revisionistengruppe. Was nach Extremismus klingt, gehört in Japan zum Establishment. „Nippon Kaigi lenkt die Politik in Japan“, meinte Tawara Yoshifumi vom Verein Children and Textbooks Japan Network 21. Mehr als ein Drittel der Parlamentsabgeordneten und über die Hälfte des Kabinetts sind Mitglieder dieser Organisation, Premierminister Shinzo Abe berät diese Gruppe von Abgeordneten. Zu den Anhängern von Nippon Kaigi zählt auch Bildungsminister Hagiuda, der die Subvention für die Aichi-Triennale streichen ließ, aber von Zensur nichts wissen wollte.