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Berichten, ohne um Erlaubnis zu bitten

Die Autorin brachte erstmals eine Reportage über Frauenmorde in Kuba. In der Folge musste sie das Land verlassen

Von Ileana Álvarez

Es war Samstag, und ich besuchte meine Mutter, als wir davon erfuhren. Wieder war eine Frau ermordet worden, diesmal durch ihren Ex-Partner. Sie war erstochen worden, wenige Blocks von meinem Geburtshaus entfernt, in einem Randbezirk der Stadt Ciego de Avila in der Mitte Kubas. In Kuba nennen wir solche Nachrichten, die nie in den staatlichen Medien erscheinen, sich aber blitzschnell von Mund zu Mund verbreiten, bola oder chisme. Diese hier bewegte uns mehr als sonst. Denn die Ermordete hatte für meine Mutter und mich ein Gesicht und einen Namen: Misleydis González.

Ich hatte einige Monate zuvor ein unabhängiges Medium gegründet und auch noch die Frechheit besessen, es „feministisch“ zu nennen. Jetzt fühlte ich mich verpflichtet, die Geschichte einer Tragödie zu erzählen, die die Regierung unbedingt vertuschen wollte.

Mariela Castro, Leiterin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung und Tochter Raúl Castros, sagte der argentinischen Zeitung El Tiempo am 4. November 2015: „In Kuba gibt es keine Frauenmorde, und das ist eine Folge der Revolution.“ Kuba hatte noch nie statistisches Material über solche Verbrechen an internationale Gremien gegeben, deshalb blieb dieses Kästchen in den Berichten immer weiß.

Wie zu erwarten war, schickte die einzige „Zeitung“ der Provinz, die mit dem eisernen Beinamen „Organ der Kommunistischen Partei Kubas“ vertrieben wird, keinen einzigen Reporter. Wenn wir nicht berichten würden, würde es niemand tun.

Ileana Álvarez, 53, leitet das feministische Onlinemedium „Alas Tensas“, das sie 2016 in Kuba als unabhängiges Medium gegründet hat.

www.alastensas.com.

Misleydis’ Mutter, ihre Schwester und ihr Bruder empfingen uns in einem sehr einfachen Haushalt. Zu Beginn zeigten sie sich sehr zurückhaltend. Nicht weil wir ein unabhängiges Medium waren – es bedrückte sie paradoxerweise genau das Gegenteil. Sie hatten eine sehr harte Geschichte zu erzählen, und sie vermuteten, dass wir im Auftrag der Regierung unterwegs seien und ihre Wahrheit nicht würden hören wollen. In der Geschichte, die sie mitzuteilen hatten, kommen die staatlichen Institutionen nicht gut weg, besonders die Polizei nicht. Trotz fortgesetzter Misshandlungen und obwohl Misleydis mehrfach Anzeige bei der Polizei erstattet hatte, wurde nie gegen den späteren Täter vorgegangen.

Wir besuchten Misleydis’ beste Freundin, bei der sie sich in den letzten Tagen ihres Lebens vor dem Mann versteckt hatte, der sie mit dem Tod bedrohte, nachdem sie eine neue – letzte – Anzeige gegen ihn erstattet hatte. Mit großem Mut beschrieb uns ihre Freundin die panische Angst und Hilflosigkeit von Misleydis, die sich unter ihrem Dach versteckt hatte.

Zu Hause kam dann die nächste Herausforderung: Wie sollte ich die Ereignisse beschreiben, ohne sensationsheischend zu wirken oder erneut Verletzungen zu verursachen? Uns fehlte die Erfahrung.

„In Kuba gibt es keine Frauenmorde, und das ist eine Folge der Revolution“

Mariela Castro, Cenesex, Tochter Raúl Castros, 2015

Wir entschieden uns, die Video- und Tonaufnahmen nicht zu verwenden, um unsere Quellen nicht zu sehr zu exponieren, denn sie könnten schwer einzuschätzenden Repressionen ausgesetzt sein. Auch die engste Familie hatte Angst, und zwar nicht so sehr vor dem Mörder.

Wir ließen auch Teile der Geschichte weg, die so grausam waren, dass sie eher wie Fiktion wirkten: Etwa dass Misleydis an einen Metallsessel gefesselt und mit Elektroschocks gefoltert worden war oder dass der Mörder zuvor bereits eine andere Frau entführt und ihr seinen Namen auf die Stirn tätowiert hatte; oder dass die Tatsache, dass er trotzdem noch frei herumlief, vielleicht damit zu tun hatte, dass er ein Informant der Polizei war, womit er – wie verschiedene Zeugen versicherten – gerne herumprahlte.

Nach der Veröffentlichung zeigte das Patriarchat sofort seine Zähne und fing an, mich und einige andere Redaktionsmitglieder auf alle mögliche Weise anzufeinden. Es gab Vorladungen zu „Gesprächen“ mit Agenten der Staatssicherheit, die uns dazu bringen wollten, die journalistische Arbeit bleiben zu lassen. Sie setzten unseren Webdesigner unter Druck, er sollte die Arbeit mit uns aufgeben und stattdessen für sie arbeiten. Sie verboten ihm eine Reise in die USA, wo er ein Masterstudium absolvieren wollte. Auch mir wurde zweimal untersagt, das Land zu verlassen, einmal für einen Kurs in Genderjournalismus in Panama, einmal um ein Stipendium in Gender Studies in Mexiko abzuschließen, das ich im Vorjahr begonnen hatte. Einem Redakteur wurde auf dem Flughafen von Santa Clara der Laptop beschlagnahmt, als er von einem Journalismusworkshop zurückkam; er wurde von Agenten der Staatssicherheit verhört.

Nachdem ich ein anklagendes Editorial in Alas Tensas veröffentlicht hatte, das im Netz großen Zuspruch fand, begann die soziale Isolation. Wenn du dich in Kuba zu widersprechen traust, wenn du dich frei ausdrückst, sorgen sie von oben dafür, dass du dich wie ein Pestkranker fühlst. Sie machen einfache unschuldige Leute aus deiner Umgebung zu ihren Werkzeugen: Die Mehrheit hat Angst, selbst ins Visier zu geraten. In einem Nachbarhaus gleich bei uns gegenüber wurde ein permanenter Beobachtungsposten eingerichtet. Die Si­tua­tion war unhaltbar. Im Sommer 2018 entschied ich mich, mit meinem Mann und meinem Sohn das Land zu verlassen.

Gut ist, dass inzwischen auch andere unabhängige Medien systematisch Genderthemen aufgreifen und dass über einige Frauenmorde auch berichtet wurde. Angesichts dessen musste auch der kubanische Staat die Probleme einräumen. Im April dieses Jahres, beim dritten Treffen des Lateinamerika- und Karibikforums zur Nachhaltigen Entwicklung, anerkannte Kuba zum ersten Mal die tragische Realität der Feminizide und gab einige Daten bekannt. Laut einer 2016 durchgeführten Umfrage über Geschlechtergerechtigkeit hatten in den 12 Monaten vor der Umfrage 26,7 Prozent aller Befragten Gewalt durch ihren Partner erlitten. 39,7 Prozent gaben an, in ihrem Leben mindestens einmal Opfer solcher Gewalt geworden zu sein.

Der unabhängige Journalismus wird nicht wegen Gesetzen und Repressoren verschwinden, die ernüchternde Wirklichkeit verstecken oder verleugnen. Die wirklichen Protagonisten unserer Arbeit, die Leser, danken es. Ab jetzt wird es schwer sein zu verhindern, dass Geschichten wie die von Misleydis González erzählt werden.

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