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Neue WG der Altenpflege

Im inklusiven Wohnprojekt „Blauhaus“ wurde am Montag die Demenz-WG eröffnet. Offene Türen und Nachbarschaft sollen den Erkrankten mehr Selbstständigkeit ermöglichen

Von Lukas Scharfenberger

Noch steht da ein Bauzaun auf der Terrasse der neuen Demenz-WG des Martinsclubs, dahinter fährt gemächlich ein Bagger vorbei. „Wenn das Projekt fertig ist, wird es hier keine verschlossenen Türen und Barrieren mehr geben“, sagt der Gruppenleiter der Demenz-WG Cedric Kroll; dass die Bewohner*innen häufiger als in herkömmlichen Einrichtungen weglaufen würden, befürchtet er nicht: „Laut Forschung laufen Demenz­erkrankte weg, weil sie sich in ihren Einrichtungen nicht wohlfühlen“, sagt er. „Genau darauf wollen wir besonders achten.“

Die Gruppe von Kroll befindet sich im Blauhaus in der Überseestadt. Ein großer Neubau, der auf die Initiative der Blauen Karawane zurückgeht. Einem Verein, der vor mehr als 30 Jahren aus der Sorge um die Entlassenen aus der psychiatrischen Verwahranstalt Kloster Blankenburg bei Oldenburg, entstanden ist.

Hier ist einiges anders als im Rest von Bremen: Auf fast 7.800 Quadratmetern stehen 76 Wohnungen für 170 Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen bereit. Ziel ist eine möglichst enge Nachbarschaft und Inklusion. Mittlerweile sind die beiden Wohnhäuser fertig und immer mehr Menschen treffen im Wohnprojekt ein. Auch Krolls Mitbewohner*innen beziehen heute die Zimmer: Ihr erster WG-Tag. Auf 320 Quadratmetern Wohnfläche und 80 Quadratmetern Terrasse, werden bald acht Demenzerkrankte in einer WG leben und von rund einem Dutzend Mitarbeitenden betreut werden.

Von der WG aus kann man die Kita sehen sowie eine Gruppe des Martinsclubs für Menschen mit Beeinträchtigungen. In der Werkstatt, die noch nicht fertig ausgebaut ist, sollen die Demenz­erkrankten später jedes Angebot nutzen können.

„Viele Demenzerkrankte wollen noch Teil der Gesellschaft sein, merken aber, dass ihre Krankheit tabuisiert wird“, sagt Kroll. Hier solle das anders werden. Er freue sich, dass er bereits eine Kooperation mit der Kita abgesprochen habe, um Kontakte zwischen den Generationen und verschiedenen Menschen zu ermöglichen.

Karin Placke hofft, dass ihre Mutter Margot Schoop durch das Angebot hier viele Freunde finden kann. Placke ist heute mit einem ihrer Brüder hier. Über die Demenz Informations- und Koordinationsstelle Bremen (DIKS) habe sie von der Demenz-WG im Blauhaus erfahren. „Zunächst hatten wir Mutti zu Hause, doch das ist zu viel geworden“, sagt Placke. „Unsere Partner haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir vier Geschwister kaum noch Zeit hatten.“

Dann eine kleine Katastrophe: In einem der Zimmer, die gerade von Angehörigen eingerichtet werden, ist eine Lampe defekt. Die Mitarbeiter*innen wenden sich an Kroll, er weiß wo es Ersatz gibt und schickt jemanden los.

Kroll ist zwar erst 27 Jahre alt und seine Mitarbeiterinnen alle älter als er, doch das stört ihn nicht. Er habe schließlich auch die Bewerbungsgespräche geführt und alle hätten gewusst, worauf sie sich einließen. Man merkt aber auch so, dass er der Chef ist. Falls es Fragen gibt, wendet man sich an ihn.

Auch die größeren Aufgaben übernimmt Kroll. So versucht er derzeit ein Versorgungsnetzwerk aufzubauen. Eine Apotheke die Medikamente liefert, hat er schon gefunden, ebenso zwei Hausärzte, welche allerdings noch keine Hausbesuche machen wollen.

Man werde da aber bestimmt bald eine Lösung finden, gibt sich Kroll optimistisch. Bis dahin müsse man zum Arzt mit dem Auto fahren. Immerhin sei die hausärztliche Versorgung schon mal für alle garantiert. Vor zweieinhalb Jahren hat er seine Ausbildung zum Altenpfleger abgeschlossen. Da er schon in der Ausbildung mit Menschen mit Demenz gearbeitet hat, hätten ihn seine Vorgesetzten gefragt, ob er sich nicht vorstellen könne, das Projekt im Blauhaus zu realisieren. Seit November 2017 habe er dann das Konzept geschrieben, sich in die Literatur eingelesen und Meinungen von Expert*innen eingeholt. „Ganz lange existierte vieles nur auf dem Papier. Es ist schon fast surreal, jetzt zu sehen, wie das alles Wirklichkeit wird.“

Und das ist es geworden. In der geräumigen Wohnküche sitzen die frisch gebackenen Bewohner*innen bei Kaffee und Kuchen mit ihren Angehörigen zusammen. Es wird viel erzählt und die Mitbewohner*innen lernen sich langsam kennen. Die Angehörigen hingegen kennen sich bereits von Infoveranstaltungen, der Wohnungsbesichtigung oder der Angehörigen-Versammlung.

„Zunächst hatten wir Mutti zu Hause, doch das ist zu viel geworden“

Karin Placke hofft, dass ihre Mutter dank der Demenz-WG neue Freund*innen finden kann

Die Angehörigen bilden hier eine Gemeinschaft und haben direkten Einfluss auf die Zustände in der WG. Wenn beispielsweise ein/e ehrenamtliche/r Mitarbeiter*in eingestellt werden soll, wird er den Angehörigen vorgestellt und diese können den/die Bewerber*in annehmen oder ablehnen.

Eine weitere Besonderheit an der Demenz-WG: Die Zimmer verfügen nicht über eine Standardausstattung. „Wir empfehlen schon die Anschaffung eines Pflegebettes“, sagt Kroll, aber dies sei allen freigestellt. Auch der Rest des Zimmers und die gesamte Einrichtung der WG setzt sich aus Möbeln der Angehörigen und Erkrankten zusammen. Einzig die Küche wurde vom Martinsclub gespendet.

Außerdem haben alle Bewohner*innen drei Verträge: einen für die Miete, einen für die Betreuung und einen für die Pflege. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Bewohner*innen den Pflegedienstleister wechseln können, ohne gleich ausziehen zu müssen.

Bewohnerin Ulrike Göbel ist an ihrem ersten Tag zwar unsicher, aber optimistisch. Bisher gefalle es ihr hier ganz gut. Dass sie jederzeit den Pflegedienstleister wechseln oder ausziehen könne, beruhige sie schon mal sehr. Ihre Schwester Gertrude Küsel hat sie die letzten drei Jahre gepflegt, die beiden lebten zusammen. Eine andere Einrichtung hatte beiden nicht gefallen, nun wollen sie es hier probieren. „Es ist wichtig, dass meine Schwester Bewegung bekommt“, sagt Küsel, daher freue es sie, dass eine der Mitarbeiter*innen oft ihren kleinen Hund mit zur Arbeit bringe.

Ein Zimmer in der Demenz-WG kostet 415 Euro warm, der Betreuungsvertrag liegt bei 1.700 Euro im Monat. Das klingt zunächst viel, laut Kroll ist der Tarif aber so bemessen, dass das Amt wenn nötig fast alles übernimmt. Darauf habe der Martinsclub geachtet, damit sich alle die WG leisten könnten. Insofern wirkt auch beim Preis der inklusive Gedanke.

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