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„Treue wird von Männern gar nicht erst erwartet“

Die Schriftstellerin Ayọ̀bámi Adébáyọ̀ über Rollenklischees und Kinderwunsch in ihrer Heimat Nigeria

Foto: Katrin Gänsler

Ayọ̀bámi Adébáyọ̀ist 31 Jahre alt. Bekannt geworden ist sie mit ihrem Debütroman „Bleib bei mir“. Darin erzählt sie die Geschichte von Yejide, ihrem Mann Akin und dem großen Wunsch und Druck, ein Kind zu bekommen. Der Roman erschien 2017 und ist bisher in 13 Sprachen übersetzt worden, darunter ins Deutsche. Seit der Veröffentlichung gilt Adébáyọ̀ als neue literarische Stimme ihres Heimatlandes.

taz: Frau Adébáyò, warum haben Sie Kinderlosigkeit als zentrales Thema für Ihren Roman gewählt?

Ayobámi Adébáyò: Ich wollte als allererstes einen Roman über tiefen Schmerz, tiefe Trauer schreiben. Von Anfang an wusste ich, dass es um eine Frau gehen wird, die Kinder verliert, die sie sich verzweifelt gewünscht hat. Damit können sich zahlreiche Frauen identifizieren. Schon Mädchen, die in Nigeria groß werden, kennen diese Erwartungshaltung. Es ist so wichtig, ein Kind zu haben.

Allerdings wandelt sich die Gesellschaft. Spüren Sie noch immer den Druck, ein Kind haben zu müssen?

Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem in erster Linie erwartet wurde, intelligent zu sein und die besten Noten zu erzielen. Den Druck, Kinder zu bekommen, habe ich zum ersten Mal mit Anfang 20 gefühlt. Die Erwartungen haben sich also nicht notwendigerweise gewandelt, wohl aber, wie die junge Generation damit umgeht. Einige Frauen können es sich leisten, sich anders zu entscheiden. Das Problem ist jedoch, dass jeder mitreden will.

Das heißt, dass sich die ganze Familie einmischt?

Es ist ähnlich wie der Wunsch, Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Diese gibt ihnen bessere Chancen im Leben. Wenn Eltern sich ein Kind für ihr Kind wünschen, dann geschieht das mit der Überlegung: So werden sie ihren Platz in der Gesellschaft finden. Die Gründe dafür sind Liebe und echte Zuneigung, was gleichzeitig sehr schädlich sein kann. Das macht es so kompliziert.

In Ihrem Roman wird Akin von seiner Mutter gedrängt, eine zweite Frau zu heiraten, da Yejide nicht schwanger wird. Geschieht das im Südwesten Nigerias noch immer?

Es ist nicht mehr so üblich wie früher. In der Generation meiner Großeltern war es die Ausnahme, nur eine Frau zu haben. Wenn ich hingegen an meine Eltern und ihre Freunde denke, dann fällt mir niemand ein, der eine zweite Frau hat. Dennoch gibt es unterschiedliche Erwartungen an Männer und Frauen, was Treue angeht. Mitunter wird sie von Männern gar nicht erst erwartet.

Im Norden, der muslimisch geprägt ist, ist Polygamie hingegen bis heute weit verbreitet. Männer berichten oft stolz, wenn sie zwei oder mehr Frauen haben. Doch was bedeutet das für die Frauen?

Es ist eine der großen Tragödien. Sie stehen miteinander im Wettbewerb. Sie wetteifern um Zuneigung und Aufmerksamkeit. Sicherlich gibt es Frauen, die sich dafür entscheiden und sich arrangieren. Sie sehen darin Vorteile, die sich mir nicht erschließen. Dennoch ist es aus meiner Sicht kein faires System.

Gelingt es, über Literatur gesellschaftliche Diskurse zu Themen wie Polygamie und Kinderlosigkeit anzustoßen?

Das ist möglich. Im Prozess des Schreibens entwickeln sich viele Dinge. Eins ist für mich aber immer präsent: die Frage nach Menschlichkeit. Ich schreibe über Dinge, die ich nie erlebt habe und vielleicht nie erleben werde. Ich denke aber kontinuierlich darüber nach, was es heißt, sich in bestimmten Situationen menschlich zu verhalten. Ich hoffe also, Leserinnen und Leser zur Menschlichkeit gegenüber anderen zu verpflichten.

Aktuell sind eine Reihe von Romanen junger nigerianischer Autorinnen erschienen. Was ist die Stärke der neuen Schriftstellerinnengeneration?

Es werden nicht nur mehr Autorinnen verlegt. Es gibt eine Vielfalt an Stimmen und Konzepten, die nicht miteinander austauschbar sind. Auch erhalten sie mehr Aufmerksamkeit. Das ist ein sehr interessanter Moment. Ich hoffe, dass er der Beginn einer kontinuierlichen Veröffentlichung von Romanen nigerianischer, ja afrikanischer Autorinnen ist. Interview Katrin Gänsler

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