ZDF-Doku zu Jüdischsein in Berlin: Ein Leben mit dem Holocaust

In „Lebenszeichen“ zeigt Alexa Karolinski wie Jüdischsein in Berlin heute aussieht. Sie erzählt dabei ihre Familiengeschichte.

Annie Karolinski Donig schneidet Blüten von einem Baum ab

Annie Karolinski Donig, Mutter der Regisseurin, bereitet das Rosch ha-Schana-Fest vor Foto: Alexa Karolinski/ZDF

„Jüdischsein in Berlin“ – wie der Dokumentarfilm von Alexa Karolinski im Nebentitel heißt – ist eine ziemlich bürgerliche Angelegenheit. Das könnte man jedenfalls nach den ersten Bildern meinen. Sie zeigen eine Frau, die an einer langen Tafel Teller akkurat ausrichtet, Stühle zurechtrückt, Silberbesteck bereitlegt. Die Vorbereitungen der Feierlichkeiten zu Rosch ha-Schana bilden den rudimentären Rahmen des Films, der mit dem Eintreffen der Gäste endet.

Die Frau, die die Mutter der Filmemacherin ist, spricht von der „Tradition der Familie“. Sagt: „Das richtige Judentum – diesen Inhalt, dieses Selige, das Jiddische, diese Wärme, das, was wir eben mit einem jüdischen Zuhause verbinden – das hab ich erst hier gelernt.“ In Berlin. Sie ist anderswo geboren und aufgewachsen ist, in Montreal, als Tochter von Holocaust-Überlebenden.

Ein Mann mit langen grauen Haaren wühlt in seinem „Anarchiv“ und führt den Eingang des Begriffs „Holocaust“ in die deutsche Sprache auf die gleichnamige amerikanische Fernsehserie zurück. Dass der Mann der Medientheoretiker Siegfried Zielinski ist, muss man wissen. „Lebenszeichen“ will ein künstlerischer Dokumentarfilm sein. Es gibt, anders als bei einer journalistischen Doku, keinen Off-Kommentar oder Bauchbinden. Vielleicht weil man gar nicht wissen muss, dass Zielinski Zielinski ist, um nachzuvollziehen, warum er den früher üblichen Begriff der „Judenvernichtung“ ablehnt (wegen der Nazi-Perspektive).

„Lebenszeichen – Jüdischsein in Berlin“, Di. 08.10, 0.15 Uhr, ZDF

Die 1984 in Berlin geborene Karolinski hatte zuvor bereits mit ihrem Filmdebüt „Oma & Bella“ – über ihre Großmutter und deren Freundin, Holocaust-Überlebende alle beide – auf sich aufmerksam gemacht. „Lebenszeichen“ wirkt im Vergleich, wegen seiner weitgehenden Strukturlosigkeit, etwas fahrig. Reiht vor allem Momentaufnahmen aneinander: die Oma mit ihrem Physiotherapeuten; Gärtnern im Garten der Liebermann-Villa – die Wannseekonferenz wurde gleich nebenan abgehalten; das Denkmal „Züge in das Leben – Züge in den Tod“ (das an die Kindertransporte 1938/39 nach England erinnert); eine Schulklasse in Sachsenhausen; Stolpersteine.

Nicht einfach nur ein Neukölln-Ort

Jüdischsein in Berlin bedeutet die ständige Präsenz des Holocaust. Der Schriftzug „Neue Welt“ im Tor vor der Filiale eines Baumarkts in Berlin-Neukölln erinnert Alexa Karolinski an Auschwitz. Für die befreundete Journalistin Carolin Würfel war das bislang „halt so ein banaler Neukölln-Ort, wo man so hingeht und dann im Bauhaus seine drei Bretter holt“. Dank ihrer Freundin kann sie jetzt auch nicht mehr daran vorbeigehen, ohne an Auschwitz zu denken.

Es hat allerdings gedauert, bis die Deutschen angefangen haben, an Auschwitz zu denken. Karolinskis Mutter erinnert sich, während sie das Besteck anordnet: „Papa hat sich geschämt. Er ist aufgewachsen mit einem Schamgefühl, dass er eben in diesem Land aufgewachsen ist.“ Papa ist der Mann, für den sie einst aus Montreal nach Berlin gezogen ist. Der Mann, mit dem sie heute verheiratet ist, hat Demenz. Ein strikt eingehaltenes Frühstücksritual gibt ihm Sicherheit. Die Kleidung von Karolinskis Stiefvater wechselt, seine Handgriffe bleiben exakt die gleichen, in immer gleicher Reihenfolge. Es sind solche Bilder, die den Eindruck von der Fahrigkeit des Films befördern. Was hat dieses „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Moment mit dem Jüdischsein in Berlin zu tun?

Vielleicht ist genau das der Punkt. Vielleicht gibt es kein Jüdischsein in Berlin, ohne jeden Tag an den Holocaust zu denken. Vielleicht bedeutet Jüdischsein aber auch, so banal das klingt, dass man jenseits des Holocaust die gleichen kleinen Probleme und großen Sorgen hat wie andere Menschen. Vielleicht ist der Film überhaupt nicht fahrig, sondern dokumentiert ein Lebensgefühl – das einer jungen jüdischen Berlinerin –, das so diffus und ambivalent ist, wie Lebensgefühle nun einmal sind.

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