Bergbau kein Staatsziel

Kann ein Bundesland Fracking verbieten? Mit den Rechten von Volksinitiativen und den Grenzen des Bergrechts befasst sich das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein

Beim Fracking wird Flüssigkeit in den Untergrund gepumpt und so das Gestein aufgebrochen. Damit wird Erdgas im Sandstein freigesetzt.

GegnerInnen warnen vor Gefahren für das Grundwasser.

In Schleswig-Holstein gibt es kein Fracking. In Niedersachsen wurde das Verfahren laut Ministerium von 1961 bis 2011 mehr als 320 Mal eingesetzt.

Verboten hat der Bundestag 2016 sogenanntes „unkonventionelles“ Fracking in Gesteinsschichten wie Schiefer und Ton.

Probebohrungen und Ausnahmen sind allerdings erlaubt. Das Verbot wird bis Ende 2021 überprüft.

Von Esther Geißlinger

Dafür ist niemand, aber mit dem Verbieten tun sich alle schwer: Seit Jahren streitet die Politik in Schleswig-Holstein über Fracking. Nun befasst sich das Landesverfassungsgericht mit dem Thema. In dem Prozess klagt die Volksinitiative, die Fracking verbieten will, gegen den Landtag. In dem Verfahren geht um es formale Fragen. Doch das Gericht könnte eine Weiche für ein landesweites Verbot der umstrittenen Methode stellen und als Bonus die Rechte von Volksinitiativen erweitern.

„Ich möchte nicht in Ihren Schuhen stecken“, sagte Roda Verheyen, Anwältin der Volksini­tiative zum Schutz des Wassers, an den Richtertisch gewandt. Doch die LandesverfassungsrichterInnen um Präsidenten Bernhard Flor hielten die aufgeworfenen Fragen für „spannend“ und sich auch für zuständig: „Wir neigen nicht dazu, uns die Kompetenz abzusprechen“, so Richterin Maren Thomsen trocken.

Das Gericht angerufen hat die Volksinitiative, die von ihren Sprechern Patrick Breyer, ehemaliger Landtags- und heutiger EU-Parlamentarier der Piraten, und Reinhard Knof vertreten wurde. Die Gruppe hatte 2018 rund 42.000 Unterschriften gesammelt und damit erreicht, dass der Landtag sich erneut mit dem Thema Fracking befassen musste.

Die Fraktionen hatten allerdings einen entscheidenden Punkt ausgeschlossen: Über ein landesweites Verbot der Methode dürfe das Parlament in Kiel nicht entscheiden, da es hier um Bundesrecht gehe.

„Politisch ist die Regierung gegen Fracking und hat daher Sympathie für die Initiative, die dem Wasserschutz eine Bühne geschaffen hat“, sagte Tilmann Mohr, Anwalt der Landesregierung. Aber fraglich sei, ob es bei Fracking überhaupt um Wasserrecht gehe. Denn der Abbau von Ressourcen unterliegt dem Bergrecht.

Auch der Rechtswissenschaftler und Bonner Professor Wolfgang Durner, der als Gutachter für die Seite des Landes am Prozess teilnahm, kommt zu dieser Auffassung. Das Bergrecht erlaubt, anders als das Wasserrecht, keine Abweichungen von der einheitlichen Bundesregelung. „Unsere Verfassung ist auf Föderalismus angelegt, sie sieht verschiedene Kompetenzen bei Ländern und Bund vor“, sagte Durner.

Verheyen widersprach: „Früher hieß es mal, dass Bergrecht auch das Grundgesetz bricht. Die Zeiten sind vorbei.“ Im Gesetz sei vom „Wasserschatz“ die Rede, dessen Schutz ein hohes Ziel darstelle: „Wenn es nach der gesellschaftlichen Debatte um Fracking und die Folgen, nicht um Wasserschutz geht, versteht das niemand.“ Patrick Breyer verwies auf das Grundgesetz: „Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist ein Staatsziel. Bergbau nicht.“

Über diese Punkte hinaus nannte Anwältin Verheyen eine übergeordnete Frage: „Darf der Gesetzgeber vorschreiben, zu welchen Punkten sich das Volk eine Meinung bilden darf?“ Denn durch eine Ini­tiative komme eine Diskussion in Gang, der „gleich zu Anfang die Beine weggerissen“ würde, wenn Themen aus formalen Gründen ausgeschlossen seien. Die Anwältin nannte als Beispiel die Initiative „Tschüss Kohle“ in Hamburg: „Das Anliegen ist inzwischen Gesetz. Nicht, weil die Initiative Erfolg hatte, sondern weil sich der Senat deren Meinung zu eigen gemacht hat.“

Thomas Schürmann, Anwalt des Landtages, betonte, dass alle Fraktionen des Parlaments gegen Fracking seien. Dennoch gebe es eine „Schichtung“ der Gesetzgeber. Auch bei erfolgreichen Volksinitiativen habe das Parlament zu prüfen, welche Anliegen rechtskonform seien. Schürmann fand es daher „fragwürdig“, dass der Prozess als „Aufhänger“ genutzt werde, um Volksinitiativen mehr Rechte zu geben. Auch Durner warnte: „Ist es wirklich eine Stärkung der Demokratie, wenn man Entscheidungen über Strafrecht oder Zuwanderung zulässt?“

Diese Gefahr sah Patrick Breyer nicht: „Verfassungsfeindliche Anträge kommen durch Parteien wie die AfD zurzeit aus den Parlamenten selbst.“ Bürgerinitiativen etwa gegen Flüchtlingsunterkünfte hätten bisher nirgendwo Erfolg gehabt.

Im Dezember will das Gericht eine Entscheidung treffen. Gibt sie der Volksinitiative recht, muss sich der Landtag mit der Frage eines generellen Fracking-Verbots befassen und könnte damit für Schleswig-Holstein einen Präzedenzfall schaffen. „Andere Länder, etwa Niedersachsen, könnten nachziehen“, sagt Breyer.

Parallel zu dem Prozess läuft ein Volksbegehren, also der zweite Schritt eines Plebiszits. Zwar hatte der Landtag über Forderungen der Gruppe beraten und auch einige Gesetze geändert. Unter anderem ging es darum, dass Firmen für Folgeschäden ihrer Bohrungen haften und dass Behörden im Vorfeld von Fracking-Vorhaben darüber Auskunft geben müssten. Doch auch die neuen Gesetze gehen der Gruppe nicht weit genug. „Ohne den Druck des Volksbegehrens würde gar nichts umgesetzt werden“, sagte Reinhard Knof.