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„Weitere Entzweiung“

SchuIforscher Ulrich Vieluf warnt vor der Einführung der Campusschule. Es fehle eine Rechtsgrundlage, die frühe Aufteilung der Kinder beeinträchtige deren Selbstkonzept

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Vieluf, heute wird der Schulentwicklungsplan verabschiedet. Es soll sieben Campusschulen geben mit Stadtteilschule und Gymnasium unter einem Dach. Eine gute Idee?

Ulrich Vieluf: Ich störe mich zunächst am Begriff Campusschule. Der ist belegt und bedeutet, dass Schulen und Universitäten im Rahmen der Lehrerbildung zusammenarbeiten. Gemeint ist die Kooperative Schule, wie wir sie ja schon haben: die Heinrich-Hertz-Schule und die Gyula-Trebitsch-Schule.

Und ist es eine gute Idee?

Ich frage mich, welches Problem damit gelöst werden soll. Oder resultiert die Idee aus der Verlegenheit, derzeit nicht sagen zu können, für welche Schulform sich die Eltern entscheiden werden? Technokratisch scheint es auf den ersten Blick eine Lösung, pädagogisch ist es problematisch.

Wo liegt das Problem?

Es wird weder im Schulentwicklungsplan selbst noch in den Senatsantworten auf schriftliche Kleine Anfragen dargelegt, worauf sich diese Idee gründet. Dabei haben wir zwei Schulen mit langjährigen Erfahrungen. Was hat sich dort bewährt, was nicht? Stattdessen werden sieben Schulen ohne Konzept in der Stadt verortet. Es heißt: Die werden schon noch ein Konzept entwickeln, individuell. Auf solcher Basis kann man keine Schulen gründen. Man muss schon sagen: Wir haben zwei Kooperative Schulen, das sind die Vorteile, die wir uns versprechen.

Es heißt, die Schulen sind bei Eltern beliebt. Reicht das nicht?

Beide Schulen verzeichnen seit vielen Jahren hohe Anmeldezahlen. Daraus abzuleiten, dass Campusschulen immer beliebter werden und man deswegen mehr davon gründen solle, ist abenteuerlich.

Die Kinder lernen bis Klasse 6 gemeinsam. Ein Vorteil?

Das Argument ist trügerisch. Die Kinder sind ja nicht von Klasse 1 bis 6 zusammen. Die Klassen werden in Jahrgang 5 neu gebildet. Die 6. Klasse steht dann unter dem Druck zu sortieren. Kinder müssen die zweite Fremdsprache wählen, falls sie in den achtjährigen Gymnasialzweig wollen. Die Klassengemeinschaften können sich nicht festigen – eben dies ist einer der Gründe, weshalb die Orientierungsstufe vielerorts in Deutschland wieder abgeschafft wurde.

Die übrigen können nach neun Jahren Abitur machen.

Aber für die einen heißt es: „Du bist ein Schnelllerner“, und für die anderen: „Du lernst nicht schnell genug“. So attribuiert man zu einem frühen Zeitpunkt unter dem Druck, G8-Klassen zu bilden. Das ist für die pädagogische Arbeit eine große Hypothek.

Ich hörte, sie lernen fast alle ab Klasse 6 zwei Sprachen.

Und etliche Kinder müssen dann einsehen, dass sie damit überfordert sind. Was richtet das mit ihren Selbstkonzepten an? Wie wirkt sich eine frühe Scheiternserfahrung auf das weitere Lernen aus? Das sind Fragen, über die man empirisch fundiert sprechen muss.

Leiter der Stadtteilschulen fürchten, dass eine „dritte Säule“ entsteht, die zur Konkurrenz wird. Teilen Sie die Sorge?

Ja. Faktisch wird eine dritte Schulform eingeführt. Eltern wählen künftig hamburgweit zwischen Stadtteilschule, Gymnasium und Kooperativer Schule. Was passiert, wenn Eltern, die sich für die neue Schulform entschieden haben, keinen Platz dort bekommen? Hierfür muss es eine Rechtsgrundlage geben, eine Änderung des Schulgesetzes. Ich frage mich, ob die Schuldeputation heute diesen Entwurf verabschieden kann, mit dem eine neue Schulform eingeführt werden soll, für die es keine Rechtsgrundlage gibt.

Ulrich Vieluf, 63, ist ehemaliger Staatsrat der Schulbehörde und lebt heute als Schulforscher bei Hamburg.

Macht die Campusschule die Stadtteilschulen kaputt?

Die Situation der Stadtteilschulen wird weiter verschärft, weil das Signal, sie sei eine Schule für die „nicht-gymnasiale“ Schülerschaft, forciert wird. Die dritte Schulform ist keine Brücke, sondern sorgt für weitere Entzweiung.

Nun weiß die Politik nicht, soll sie Stadtteilschule oder Gymnasium bauen. Ihr Rat?

Nach meiner Ansicht wird mit Einführung der Kooperativen Schule die Strukturdebatte neu eröffnet. Nun sollten aber auch die ungelösten Pro­bleme unseres derzeitigen Schulsystems zur Sprache kommen. Nach zehn Jahren kennen wir die Risiken und Nebenwirkungen des Zwei-Säulen-Modells. Jedes Jahr müssen 1.600 Schüler das Gymnasium verlassen. Es gibt eine sehr ungleiche Verteilung in der Wahrnehmung des Inklusionsauftrags und sozial ist die Schülerschaft gespalten.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Wir brauchen Schulen, die konsequent auf individuelle Lernförderung setzen. Wir könnten all das Auslesen und Sortieren mit einem weiteren Zehn-Jahres-Plan überwinden, aber nicht mit einer neuen Schulform. Ich halte Schulformen für komplett überflüssig, denn sie befördern faktisch die soziale Auslese, statt die sozialen Unterschiede, die erfolgreiches Lernen begünstigen oder aber behindern, auszugleichen.

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