Treffen von Kohle-Bürgermeister*innen: Ausgebaggert, vorwärtsgewandt
Nach der „Wende“ nun der zweite radikale Bruch: Im sächsischen Weißwasser berieten 38 Bürgermeister*innen darüber, was nach der Kohle kommen kann.
Die Stadt Bytom hat seit 1990 trotzdem fast die Hälfte ihrer Einwohner verloren. Von einstmals 250.000 sind nur noch 140.000 Bytomer*innen da, erklärt Bieda. Die Daheimgebliebenen müssen nach Umbruch und ökonomischer Disruption nun auch noch die beschleunigte ökologische Wende bewerkstelligen.
Von sieben Kohleminen sind in Bytom (Beuthen, Oberschlesien) nur noch zwei in Betrieb und das nicht mehr lange. Mit der Umwandlung von Werkhallen in Theater allein wird dies nicht abzufedern sein. Trotzdem zeigt der junge Bürgermeister Bieda nicht ohne Stolz seine Fotos von seinem neuen „Bitomski Teatr“ vor.
Allen Bürgermeister*innen hier geht es so. Auf Einladung der Stadt Weißwasser in der Oberlausitz und des WWF haben sich 38 von ihnen aus ganz Europa versammelt. Auf dem riesigen Areal der früheren Telux-Glasproduktion sitzen die Kohle-Bürgermeister*innen an rustikalen Tischen und diskutieren, wie sie ihren Leuten das beibringen sollen: Dass es so schon wieder nicht weitergeht.
Stippvisite am Bärwalder See
Zuvor hatte sich die Delegation auf dem Aussichtsturm am „Schweren Berg“ die letzte noch bewirtschaftete Kohlegrube der früheren Industriestadt angesehen. Ein wüstes Loch in der Landschaft mit dem Kraftwerk am Horizont – aber auch ein Aussichtspunkt auf bereits zugeschüttetes und renaturiertes Land.
Bei der anschließenden Stippvisite am Bärwalder See besah man sich noch Ortsansässige beim Wassersporteln auf 13 Quadratkilometern Bärwalder See, der mal eine Kohlegrube war, bis er ab 1997 geflutet wurde. Seit dreizehn Jahren kann hier gebadet werden. „Wir müssen die Bürgermeister ermächtigen“, meint Stavros Mavroginis, Kopf der Energiepolitikabteilung der griechischen Sektion des World Wildlife Funds (WWF).
Zusammen mit der Gemeinde Kozani und deren früheren Bürgermeister Lefteris Ioannidis im griechischen Nordwesten fand im vergangenen Jahr bereits das erste Treffen der ökoaffinen Bürgermeister*innen aus Kohlestädten statt. Ioannidis ist auch in Weißwasser dabei. Er sagt: „Wir müssen die Stimme auf EU-Ebene wirklich lauter erheben!“ Dieser Ansicht ist auch Torsten Pötzsch, der Weißwasserer Stadtchef, der in seiner Stadt mit dem linksliberalen Bündnis „Klartext“ einen neuen Politikstil pflegen will.
Treffen mit Umweltministerin Schulze
Er hat deshalb für den nächsten Tag ein Treffen seiner Delegation mit Bundesumweltministerin Svenja Schultze (SPD) arrangiert. Die 160 Kilometer in die Hauptstadt der BRD legen die Stadtoberhäupter am Freitag gemeinsam im Reisebus zurück.
Das Umweltministerium hat mit dem Andrang so vieler Pressevertreter*innen nicht gerechnet, praktisch alle TV-Sender und Zeitungen sind da. Der Konferenzraum ist viel zu klein, die Flure eng. So können die Bürgermeister*innen aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Tschechien und anderen Ländern selber nicht zu Wort kommen.
Schulze bittet um Pardon: „Ob wir als Deutschland nun ein Vorbild sind?“ Das wisse sie nicht. Aber man sei in Sachen Öko-Umbau schon weit, klingt durch. „Viele unserer Leute haben noch nicht überwunden, was mit ihnen vor 30 Jahren passiert ist“, sagt Pötzsch, der Mann aus Weißwasser. Der sozioökonomische Bruch betreffe alle hier vertretenen Gemeinden.
Das derzeit diskutierte Strukturstärkungsgesetz benötige Ergänzungen für solche Städte. „Diesmal müssen wir es besser und anders machen als in den 1990er Jahren!“ Und man müsse auf EU-Ebene Städten helfen, die „auf nationaler Ebene völlig im Stich gelassen werden“.
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