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Im Schwarm gegen Scham

Mit einer Wagenburg aus Lovemobiles will eine Kunstaktion am Steintorin Hannover noch bis Samstag Vorurteile über Sexarbeit abbauen

Kunterbunte Aufklärung: einer der Wohnwagen auf dem Steintorplatz Foto: Bettina Maria Brosowsky

Von Bettina Maria Brosowsky

So schmuddelig, wie wohl manch einer das Gewerbe empfindet, fiel am Montag das Nieselwetter aus, als das Schwarmkunstprojekt „Strich/Code/Move“ in Hannover seinen Beginn nahm. Die Initiator*innen möchten im öffentlichen Raum auf die Situation von Sexarbeitenden aufmerksam machen und haben dazu eine museale Wagenburg aus fünf bunten Love­mobilen aufgebaut, die verschiedene Fragen zum Thema Prostitution anreißt. Sinnfällig steht sie am Steintor, Hannovers Rotlichtmeile: Im Laufe der rund 40 Veranstaltungen des Gesamtprogramms geht es dann auch einmal zum Table Dance direkt in eine der Lokalitäten.

Worum geht es den Aktivist*innen um die Künstlerin Kerstin Schulz, die die Wagen aufbereitet hat, und sie nun, nach 2012, zum zweiten Mal in der niedersächsischen Landeshauptstadt präsentiert? Die Organisator*innen, unter anderem verschiedene Beratungsstellen und soziale Verbände, wollen zeigen, dass Prostitution Teil unserer Kultur ist und eine lange Geschichte aufweisen kann.

Sie existiert in allen Teilen der Erde, egal ob im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen, illegal oder unter Missachtung elementarer Menschenrechte: Die gesellschaftliche Anerkennung eines Berufsbilds Sexarbeitende, eine Respektierung derartig Arbeitender ist aber nach wie vor in weiter Ferne. Wie sollte sie auch möglich sein, wenn ausgerechnet internationale Frauenrechtlerinnen für den Teil weiblicher Prostitution hier polarisieren?

Hannovers Gleichstellungbeauftragte Friederike Kämpfe bringt den mentalen Zwiespalt auf den Punkt. Es gebe die drei Bereiche Kopftuch, Porno, Prostitution, bei denen Feministinnen entweder auf das freie Recht der Selbstbestimmung pochen oder ein striktes Verbot fordern, da sie jegliche Freiwilligkeit in Abrede stellen. Hier wolle das Kunstprojekt im öffentlichen Raum zu Zwischentönen in der Betrachtung auffordern, man wolle informieren, miteinander ins Gespräch kommen, statt nur übereinander zu reden, so Dorothee Türnau von der Hannoveraner Fachberatungsstelle für Sexarbeitende, Phoenix. Sie ist seit 30 Jahren übrigens die einzige im ganzen Flächenland Niedersachsen.

Einen rechtlichen Fortschritt sahen Sexarbeitende im Prostitutionsgesetz von 2002. Mit ihm wurde der Tatbestand der Sittenwidrigkeit aufgehoben, die Prostitution erhielt Rechte eines Berufes, sodass auch erstmals ein juristischer Rahmen für Beratungen geschaffen wurde.

Mit dem Prostitutionsschutzgesetz von 2017 verschärfte sich die Situation jedoch wieder, zumindest sehen es viele Betroffene so. Nun müssen sich Sexarbeitende offiziell registrieren lassen und den sogenannten Hurenausweis immer bei sich tragen. Zudem gibt es strenge, auch baurechtliche Auflagen für Betriebsstätten – und dazu zählt nun schon die nicht unübliche Zusammenarbeit von zwei oder mehreren Sexarbeitenden in einer gemeinsamen Wohnung, um sich so gegenseitig, nicht nur bei möglichen Übergriffen, zur Seite zu stehen: Ausgerechnet dieser Selbstschutz wird nun per „Schutzgesetz“ unterbunden.

Als Symbol einer Anerkennung des Berufs Sexarbeit stehen Preisetiketten zur Verfügung

Viele unter diesen Bedingungen Arbeitende seien jetzt wohl in den Untergrund abgewandert, vermutet Nicole, seit einigen Jahren im Wohnmobil Sexarbeitende aus Trier, die zur Unterstützung des Hannoveraner Projekts angereist ist. Sie erzählt frank und frei vom nun erzwungenen Outing per Hurenausweis, mit dem sie, als Gewerbetreibende, dann aber auch ganz selbstbewusst und erfolgreich die Zugangsberechtigung zum Großhandel beantragte.

Als sie mit dem Standplatz ihres Mobils auf öffentlichem Grund Probleme bekam, schickte sie dem Bürgermeister eine E-Mail und erbat von ihm den im Gesetz ja bekundeten „Schutz“. Als alternative Lage ihres Gewerbes schlug sie den Parkplatz vor dem Rathaus vor – und bekam binnen Minuten eine Antwort, nun als „Duldung“ ihres alten Standorts.

Nicht alle mögen so frei erzählen. Die fünf Lovemobile in Hannover bieten noch bis zum Ende der Woche Raum für diskretere Information, persönliche Gespräche und jede Menge künstlerischer Begegnungen. Die reichen vom Mitmachen – als Symbol einer Anerkennung des Berufs Sexarbeit stehen Preisetiketten zur Verfügung, die sich als Schwarmkunstaktion gemeinsamen auftackern lassen – bis zur intimeren Erfahrung bei einer Schamhaarspende mit anschließender Performance.

„Strich/Code/Move: Lovemobile“: bis Sa, 28. 9., Hannover, Steintorplatz, Infos: strich-code-move.art

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