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Ankommen bedeutet Zurücklassen

Wie kann man ankommen, wenn die Bleibeperspektive unsicher, die Gefühlswelt zerrissen ist? Eine Künstler*innengruppe aus Berlin und Uganda zeigt im Grips-Theater das Jugendtheaterstück „Ankommen ist WLAN“

Von Linda Gerner

Wie soll ich ankommen, wenn ich hier nicht gewollt bin?“ Viele fragende und nachdenkliche Blicke ins Publikum gibt es an diesem Abend: Könnt ihr den Konflikt nachempfinden? Am vergangenen Mittwoch wurde das Musiktheaterstück „Ankommen ist WLAN“ unter der künstlerischen Leitung von Theresa Henning im vollbesetzten Grips im Podewil in Berlin uraufgeführt. Ankommen, ein abstrakter Begriff. Greifbarer wird er durch die Perspektiven: von Geflüchteten, von Jugendlichen, von einzelnen Menschen, persönlich. Aber was hat WLAN damit zu tun?

An ein Publikum ab 12 Jahren gerichtet, erfordert das Stück kein langes Stillsitzen. Es gibt weder ausschweifende Monologe noch einen komplexen Plot. Alles ist ständig in Bewegung, meistens laut. In der lockeren Szenencollage liegt der Reiz von „Ankommen ist WLAN“, immer wieder gibt es neue Gedankenspiele. Sie zelebrieren die unterschiedlichen Talente der Spielenden und transportieren dabei inhaltlich gut verständliche Botschaften. Auf Englisch und Deutsch, tanzend, mit Rap, Rave und anmutender Drag-Einlage.

„Meine Worte kommen nirgendwo an. Ich kann machen, was ich will, meine Stimme wird nicht gehört“, sagt etwa der Rapper und Hip-Hop-Dozent Matondo Castlo. Mit ansteckender Energie rappt er gemeinsam mit Schauspielerin und Sängerin Nina Reithmeier über den „guten Deutschen Pass“ und erzählt von innerer Zerrissenheit aufgrund von Fremd- und Eigenwahrnehmungen. Wie denke ich und wie denken andere über mich als schwarzen Mann?

Es kann schmerzhaft sein, sich selbst zu akzeptieren, wenn andere es nicht tun. Eine innere Mauer einzureißen, die andere Menschen einem auferlegen. Vielleicht landet man dann irgendwann bei der Haltung „Mir egal, ob dir gefällt, was du hier siehst“, vielleicht klingt das dann so kämpferisch und dennoch liebevoll wie im Rap von Castlo.

Nicht auf alles will das Stück Antworten geben, oft reichen Anregungen in Frageform: „Ist es möglich, als menschliches Wesen anzukommen? Ohne Geschlecht, Hautfarbe, diskriminierende Strukturen?“ Die Spielenden versuchen eine Loslösung von Rollen- und Denkmustern und wechseln dabei minütlich zwischen Albernheit, Wut und Tragik. Das ist unterhaltend, nimmt dem Thema aber nie die Brisanz.

Liegen Theaterstücken häufig inhaltliche Reisen zugrunde, ist das Ensemble von „Ankommen ist WLAN“ besonders weit zusammen gereist. Im Herbst 2018 startete die Produktion mit Gesprächen über das Ankommen mit geflüchteten Jugendlichen in Berlin, im Februar dieses Jahres reiste die Gruppe für zehn Tage gemeinsam nach Uganda. Auch dort sprachen sie mit Schüler*innen und besuchten Orte, an denen bis zu 60.000 Geflüchtete leben.

In Deutschland ist Integration seit vielen Jahren eins der bestimmenden politischen Themen, Uganda ist hinter der Türkei und Pakistan eines der Hauptaufnahmeländer, das weltweit am meisten Geflüchtete aufnimmt. Gleichzeitig zählt es auch zu einem der ärmsten Länder der Welt.

Früh entsteht durch die Gespräche mit den Jugendlichen der Titel des Stücks. Denn steht das Ankommen am Ende einer Flucht, bedeutet es zunächst vor allem Zurücklassen. Plötzlich ist Ankommen WLAN, das Internet bietet eine erste Kontaktmöglichkeit zu Eltern oder Geschwistern. Aus dieser Perspektive heraus ist das Smartphone nicht der unreflektierte Zeitvertreib beim Warten auf die Bahn, sondern bedeutet Trost in der Fremde.

Es gibt weder ausschweifende Monologe noch einen komplexen Plot. Alles ist ständig in Bewegung, meistens laut

Zum Kotzen ist es, sagt Schauspielerin Nina Reithmeier, dass manche Menschen Geflüchteten den Besitz eines Smartphones vorwerfen – wo sie selbst stundenlang durch Instagram-Feeds scrollen und ihr Telefon als Selbstverständlichkeit begreifen.

Rassismus macht wütend, löst Angst aus. Ankommen ist aber trotzdem eng verknüpft mit Hoffnung. Diese Emotionen zeigt auch der Tänzer Robert Ssempijja aus Uganda auf der Bühne. Gesagtes übersetzt er in Bewegungen, fließend, athletisch, zitternd, still. Dabei verbindet er traditionellen ugandischen Tanz mit Breakdance, seine enorme Körperbeherrschung lässt die vielseitigen Stilformen auch noch mühelos aussehen. Als Bilder aus Uganda auf der Leinwand zu sehen sind, tanzt er gerade nicht. Sein Blick jedoch ist einer der vielen nahbaren Momente des Stücks.

Von Beginn an waren Robert Ssempijja und Beatboxer Moses Mukalazi aus Kampala in die Grips-Produktion eingebunden. Das ist wohl ein Grund, warum das Stück mit einer herausragenden Soundkulisse aufwarten kann, die von Arrangements der Musikerin Öz Kaveller und E-Gitarreneinlagen von Michael Brandt abgerundet wird. Immer wieder werden zeitgenössische Elektrobeats mit ugandischen Einflüssen gemischt – und kommen beim jungen Publikum gut an.

Die fragenden Blicke vom Anfang und die künstlerische Zusammen­arbeit aus Uganda und Berlin werden am Schluss mit minutenlangem Applaus und stehenden Ovationen beantwortet.

„Ankommen ist WLAN“, wieder am 14. September, 16 Uhr, und vom 26. bis 28. September. Grips im Podewil, Klosterstraße 68, Mitte. 16/9 Euro

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