Gerichtsentscheidung in der Türkei: Selahattin Demirtaş fast frei

Der Oppositionspolitiker sitzt in U-Haft. Wegen einer anderen Strafe bleibt er aber trotz der neuen Gerichtsentscheidung im Gefängnis.

Selahattin Demirtas, Präsidentschaftskandidat der oppositionellen pro-kurdischen Partei HDP, sitzt in seiner Zelle im Gefängnis

Aus politischen Gründen im Knast: Selahattin Demirtas, Ex-Vorsitzender der Oppositionspartei HDP Foto: dpa

BERLIN taz | Ein Gericht in der türkischen Hauptstadt Ankara hat am Montagabend angeordnet, dass der frühere Vorsitzende der kurdisch-linken Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş, nach fast drei Jahren Untersuchungshaft aus dem Gefängnis entlassen werden soll. Demirtaş ist in Ankara wegen der angeblichen „Leitung einer terroristischen Vereinigung“ und anderer Delikte angeklagt. Der Staatsanwalt fordert bis zu 142 Jahre Haft.

Wegen der möglichen hohen Strafe hatte das Gericht bislang immer die Freilassung aus der U-Haft abgelehnt. Die Anordnung zur Freilassung am Montag kam deshalb für alle Prozessbeobachter völlig überraschend. Dennoch wird Selahattin Demirtaş nicht gleich aus dem Gefängnis kommen, wie sein Anwalt Ramazan Demir sagte. Der Grund: Er ist in einem anderen Nebenverfahren Ende letzten Jahres bereits zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Anwalt hofft jedoch, dass diese vierjährige Freiheitsstrafe jetzt mit den drei Jahren Untersuchungshaft verrechnet wird und Demirtaş dennoch in den nächsten Tagen freigelassen wird.

Selahattin Demirtaş ist der prominenteste und erfolgreichste demokratische Kurdenführer in der Türkei in den letzten Jahrzehnten. Unter seiner Führung gelang es der kurdisch-linken HDP bei den nationalen Wahlen im Juni 2015 erstmals, die parlamentarische Hürde von 10 Prozent zu überwinden und mit knapp 13 Prozent der Wählerstimmen ins Parlament einzuziehen. Bis dahin war das nur kurdischen Direktkandidaten gelungen. Erdoğan sah seine Macht bedroht und wandte sich gegen Demirtaş und die gesamte kurdische Bewegung. Er ließ Friedensgespräche mit der PKK beenden und sorgte dafür, dass die parlamentarische Immunität von Demirtaş und etlichen weiteren kurdischen Abgeordneten aufgehoben wurde.

Demirtaş wurde daraufhin im November 2016 verhaftet und mit zahlreichen Anklagen konfrontiert. Im November letzten Jahres hatte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof EGMR bereits die Türkei aufgefordert, Demirtaş wegen der überlangen Dauer der U-Haft aus dem Gefängnis zu entlassen. Erdoğan weigerte sich jedoch öffentlich, dem nachzukommen. Stattdessen wurde Demirtaş auf die Schnelle in einem Nebenverfahren wegen „Terrorpropaganda“ zu vier Jahren Haft verurteilt.

Bisher herrscht Zurückhaltung

Während es in den sozialen Medien bereits unmittelbar nach dem Spruch des Gerichts zu großem Jubel kam, halten sich alle Parteien zunächst noch zurück, bis klar ist, ob Demirtaş wirklich aus dem Gefängnis entlassen wird. Die Freilassung von Demirtaş wäre ein großer Erfolg der Opposition gegen Präsident Erdoğan.

Seit den Kommunalwahlen in Istanbul, die CHP-Kandidat Ekrem Imamoğlu nicht zuletzt durch viele Stimmen von in Istanbul lebenden Kurden gewinnen konnte, haben sich die beiden Parteien CHP und HDP einander angenähert. Das wurde zuletzt deutlich, als Imamoğlu am letzten Wochenende nach Diyarbakır in der Osttürkei reiste, um sich mit den kurz zuvor vom Innenminister ihres Amtes enthobenen kurdischen Bürgermeistern von Diyarbakır, Van und Mardin zu treffen. Die Freilassung von Demirtaş würde den Prozess der Annäherung weiter beschleunigen.

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