Russische Luftabwehr für die Türkei: Erdoğans Misstrauensvotum

Der türkische Präsident riskiert einen Bruch mit den USA und der Nato ohne erkennbare Notwendigkeit. Seine Message geht an die eigene Armee.

Erdogan an einem Rednerpult

Die Nato schützt vielleicht die Türkei, aber Erdoğan bezweifelt, dass sie sein Regime schützt Foto: dpa

Es ist zwar ein Zufall, dass die russische Raketenabwehr genau drei Jahre nach dem niedergeschlagenen Putschversuch vom 15. Juli 2016 geliefert wird, aber ein Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen besteht wahrscheinlich dennoch. Experten rätseln seit Langem darüber, gegen welchen Feind die S-400-Luftabwehr eigentlich eingesetzt werden soll.

Solange die Türkei noch die „Südostflanke der Nato“ darstellte, wären amerikanische Luftabwehr-Patriots natürlich potenziell gegen Russland aufgestellt worden. Das ist ja nun nicht der Fall. Der offizielle Grund, die Raketenabwehr sei notwendig gegen Syrien, ist dagegen nur wenig plausibel, jedenfalls solange Russland mit Assad verbündet ist. Armenien und Georgien fallen mangels Raketen aus, und an einen Krieg gegen Griechenland denkt glücklicherweise niemand.

Warum also riskiert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan einen Bruch mit den Vereinigten Staaten, der Nato, ja sogar dem Westen insgesamt, wenn es doch gar keine erkennbare Notwendigkeit für das Raketenabwehrsystem aus Russland gibt?

In manchen regierungsnahen Medien taucht als Grund ein nicht näher beschriebener „innerer Feind“ auf. Man kann also davon ausgehen, dass dahinter die Angst Erdoğans vor einem neuerlichen Putsch steckt. Bis heute hält sich in der AKP-Spitze hartnäckig der Verdacht, dass die USA oder auch der Westen allgemein den Putschversuch von 2016 mit Sympathie betrachtet haben – wenn der Westen nicht sogar daran beteiligt war. Dass sich die Amerikaner nach wie vor weigern, Fethullah Gülen, den vermeintlichen Drahtzieher des Putsches, auszuliefern, nährt diese Vermutungen weiter. Die S-400 sollen Ankara, also die Regierung, schützen; nicht gegen einen Gegner von außen, sondern gegen einen neuerlich vom Westen initiierten Putsch.

Da sind dann russische Raketenabwehrsysteme aus der Sicht Erdoğans doch sehr viel verlässlicher als amerikanische Patriots. Der ganze Kauf der vier Batterien russischer S-400 ist nur sinnvoll erklärbar als Misstrauensbekundung gegen die eigene Armee und die traditionellen Verbündeten. Die Nato schützt vielleicht die Türkei, aber Erdoğan bezweifelt, dass sie sein Regime schützt. Da fühlt er sich bei dem russischen Präsidenten Wladimir Putin offenbar besser aufgehoben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.