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Läuft doch gut hier

Auf dem Marktplatz von Schneeberg trennen AfD und CDU nur wenige Meter. Die CDU versucht es mit Selbstbewusstsein – die AfD muss nur dastehen

Aus Schneeberg Kersten Augustin und Paul Wrusch

Es regnet, im Bulli auf dem Campingplatz lesen wir die Lokalzeitung. Und rufen dann in der Redaktion in Aue an. Fahrt mal nach Schneeberg, empfiehlt uns die Sekretärin, da machen heute CDU und AfD Wahlkampf, auf demselben Platz.

Nieselregen fällt auf den Marktplatz von Schneeberg, eine Kleinstadt im Erzgebirge mit 15.000 Einwohnern. Zehn Meter liegen die beiden Wahlkampfstände von CDU und AfD auseinander. Hier lässt sich beobachten, wie man argumentiert, wenn Argumente nicht zählen.

Ein Sonnenschirm gegen den Regen, ein Tisch mit Flyern und eine Kaffeekanne, mehr braucht die CDU nicht. Eric Dietrich steht am Stand und beendet das Gespräch mit einem potentiellen Wähler. Dietrich ist 34 Jahre alt, seit fünf Jahren ist er im Gemeinderat von Stützengrün südlich von Schneeberg. Jetzt will Dietrich, der im VW-Werk in Zwickau als Informatiker arbeitet, den Sprung in die Landespolitik schaffen – als Direktkandidat für den Wahlkreis Erzgebirge 2.

Eine ältere Frau kommt an den Stand und redet sich in Rage. Die Politiker, sagt die Frau, die ihren Namen nicht verraten will, würden nur lügen und betrügen. In Schneeberg gehe es bergab. Zwei CDU-Wahlkämpferinnen versuchen, sie zu beruhigen. Sie zeigen auf die sanierten Fassaden der Stadt, auf das Rathaus, sprechen über Schulen und Spielplätze. „Seien Sie ein bisschen zufriedener“, sagt eine CDU-Wahlkämpferin, „wir haben es viel besser als in der DDR.“ Doch die Frau winkt ab und geht, mit Argumenten lässt sie sich nicht beruhigen.

„Viele kommen erst zu uns und laden ihren Frust ab, dann gehen sie zum AfD-Stand“, sagt eine der CDU-Wahlkämpferinnen. Es fällt auf, dass die CDU mit einem neuen Selbstbewusstsein an die Wähler herantritt. Man will nicht mehr nur Sorgen ernst nehmen, wie es so oft nach dem Sommer 2015 hieß, sondern auch darauf beharren, wie viel doch gut läuft.

Schneeberg wurde vor einigen Jahren überregional bekannt. Im November 2013 zogen 1.800 Menschen mit Fackeln durch die Stadt, aus Protest gegen die Unterbringung von Geflüchteten. 836 Menschen waren im Sommer 2015 in der Erstaufnahme in Schneeberg untergebracht. Heute sind es noch 166. Doch Zahlen scheinen für viele hier keine Rolle zu spielen.

Der Wahlkreis war eine Hochburg der CDU, bei der Kommunalwahl im Mai kam sie nur noch auf 33 Prozent, verlor die absolute Mehrheit. Dass es bei der Landtagswahl für das Direktmandat reicht, ist unsicher.

Dietrich macht der Erfolg der AfD ratlos. Klar, die Wendezeit wirke nach. „Aber die Städte sind saniert, die Mieten sind günstig, die Arbeitslosigkeit gering.“ Sollte die CDU mit der AfD nach der Wahl zusammenarbeiten? „Keine Option“, bricht es aus Dietrich raus. Er setzt notfalls auf eine Minderheitsregierung.

Auf dem Marktplatz gibt es einen Fleischer, der Soljanka verkauft, beim Vietnamesen gibt es Klamotten. Gleich daneben steht Manfred Körner, der AfD-Kandidat. „Sie sind von der taz? Sie dürfen trotzdem unter meinen Schirm.“

Optisch macht sein Wahlkampfstand mehr her als der Sonnenschirm der CDU: zwei Aufsteller, ein Anhänger mit dem Gesicht des Kandidaten, Gummibärchen und Handseife „für eine saubere Politik“. Seit 2016 ist Körner in der AfD aktiv. Er beschwert sich über „die Medien“, in denen die AfD nicht zu Wort komme. Und wenn ein AfDler mal in eine Talkshow eingeladen werde, sei das ein „offenes Tribunal“. Was man halt so sagt als AfDler.

Ein älterer Mann mit grauem Schnauzer und Regenschirm unterm Arm kommt an den Stand. „Ich bin AfD“, ruft er laut und stellt sich breitbeinig hin. Immer aufgeregter wird er, schimpft über die CDU, über Afghanen, über die Medien. „Es ist schlimm, die AfD hat viel zu ertragen.“ Selbst Körner scheint überrascht von der Energie des Mannes, nickt und versucht in den Monolog einzusteigen – erfolglos. Während es die CDU in Schneeberg mit Argumenten versucht, muss Körner nur mit dem Kopf nicken.

„Hoffentlich wird die AfD stärkste Kraft, dann mache ich am Wahlabend eine Flasche Krim-Sekt auf“, ruft der Mann laut. Immer wieder macht er Anstalten zu gehen. Dann scheint ihm etwas Neues einzufallen. Wen er hier überzeugen will, bleibt unklar.

75 Jahre alt ist er, erzählt er, pensionierter Gymnasiallehrer, Eigentümer eines Mietshauses. Er bindet sich die blaue Papiertüte mit AfD-Logo um die Spitze seines Regenschirmes, legt den Schirm über seine Schulter und läuft stolz davon. Während Körner seinem Wähler hinterherblickt, baut die CDU ihren Sonnenschirm ab.

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