: Mit Oud und Trompete
Zum vierten Mal präsentiert das Festival Funun in Bremen syrische Kultur. Ein Schwerpunkt ist diesmal Kunst, die im Exil entstanden ist. Zu sehen ist in einer Fotoausstellung von Bremer*innen mit und ohne syrischen Hintergrund aber auch, was bei der Flucht zurückbleiben musste
Von Teresa Wolny
Funun ist Arabisch und heißt übersetzt „Künste“. Das Festival für syrische Kultur in Bremen findet mittlerweile zum vierten Mal statt und widmet sich diesmal vor allem syrischer Kunst und Kultur, die nicht in Syrien selbst, sondern im Exil entstanden ist. Vieles kommt aus Berlin, aber auch Bremer Projekte sind dabei.
„Wir wollen zeigen, dass die Menschen aus Syrien zwar etwas verloren, aber gleichzeitig auch eine sehr wertvolle Kultur mitgebracht haben“, sagt Ivesa Lübben vom Syrischen Exil-Kulturverein (SEKu) in Bremen. Der Verein organisiert das Festival und feiert dieses Jahr auch gleich Eröffnung des neuen Vereinsheims in der Liegnitzstraße in Gröpelingen.
Die Festivaleröffnung ist dieses Jahr zugleich Ausstellungseröffnung. „Refugee Village for Freedom – Solidarity Fields“ heißt das Projekt, das vor drei Jahren in Griechenland ins Leben gerufen wurde. In der unteren Rathaushalle zeigen Videos die Arbeit im Dorf. Dort leben Geflüchtete und Freiwillige, die in einer selbst organisierten Gemeinschaft Lebensmittel anbauen. Die Menschen im Refugee Village for Freedom versorgen sich damit nicht nur selber. Sie ernten genug, um damit auch andere Hilfsbedürftige – darunter nicht nur Geflüchtete – in Athen zu versorgen.
Dakdouk Kastro lebt bereits seit 30 Jahren in Griechenland und ist Künstler und Organisator des Projekts. Neben den Videos sind auch gemalte Werke von Dakdouk Kastro selbst sowie von Kindern aus dem Dorf ausgestellt und können zugunsten des Projekts ersteigert werden.
Ein treuer Begleiter bei vielen musikalischen Veranstaltungen des Festivals ist die Oud, ein Saiteninstrument, das ähnlich wie eine Gitarre gespielt wird. Im Bagalla Ensemble versammeln sich um den Gründer Shadi Almoghrabi an der Oud sechs andere Musiker*innen aus Bremen. Das Ensemble will das Publikum auf eine „Reise durch die orientalischen Gewässer“ mitnehmen, denn eine Bagalla ist ein arabisches Segelschiff.
Die Zusammenstellung der Instrumente ist für die Musikrichtung eher ungewöhnlich. Genau das macht das Ganze aber so interessant. Oud und Trompete etwa mag keine klassische Kombination sein, funktioniert hier in Verbindung mit den anderen Instrumenten aber sehr gut. An diesem Abend ergänzt die aus Istanbul stammende Sängerin Nihan Devicioglu das Bagalla Ensemble. Dass die orientalischen Gewässer in diesem Fall eher eine lockere geografische Beschreibung sind, wird spätestens klar, wenn Devicioglu neben Türkisch und Arabisch auch auf Italienisch singt.
Auch Lena Chamamyan hat eine Oud in ihrer Band. Dass sie in Syrien ein Superstar ist, merkt man spätestens, wenn sie an beliebigen Stellen ihres Konzerts das Mikrofon ins Publikum hält und alle den Text kennen und zuverlässig weitersingen. Die Musik ist ein Mix aus traditioneller syrischer und armenischer Musik mit deutlichen modernen Einflüssen.
Chamamyan, die in Paris lebt, hat armenisch-syrische Wurzeln. Sie beginnt ihr Bremer Konzert-Debüt mit einem syrisch-armenischen Schlaflied, der Text ist abgewandelt: „We will go across the mountain / we will go home“, singt sie leise und gleichzeitig so inbrünstig, dass man im mucksmäuschenstillen Saal auch ohne syrische Wurzeln eine Gänsehaut bekommt.
Chamamyans Lieder sind oft den Menschen in ihrer Heimat gewidmet, den Kindern dort oder in Damaskus. Ihr Auftritt ist poetisch und politisch zugleich, etwa wenn sie davon erzählt, wie sie aufgrund ihres syrischen Passes ein Flugzeug verlassen musste. Sie habe sich an die demütigenden Reiseerlebnisse gewöhnt, erzählt Chamamyan. Das darauffolgende Stück, ein Plädoyer für die Freiheit und vor allem die Reisefreiheit, wird vom Publikum besonders begeistert aufgenommen.
Erfahrungen von Krieg und Flucht sind mit Geschichten aus dem Exil oft eng verknüpft. Eindrucksvoll und gleichzeitig sehr bremisch genähert hat sich dem Thema das Team um den Regisseur Nehad Hussein. Im Zuge des Projekts „FilmZuFlucht“ begannen 2016 die Arbeiten am Film „Deutschkurs“, der auf dem Funun-Festival nun Vorpremiere feierte.
Ivesa Lübben, Syrischer Exil-Kulturverein in Bremen
Das Filmteam besteht aus Bremer*innen mit und ohne Fluchterfahrung, dabei sind Geflüchtete aus fünf verschiedenen Herkunftsländern. Drehbuch und Dreharbeiten entstanden gemeinschaftlich. Der Film erzählt von den kleinen und großen Sorgen im Alltag der Teilnehmer*innen eines solchen Kurses – eher allerdings von den großen: von Abschiebebescheiden und von neu zu definierenden Zukunftsplänen, die an die aktuellen Umstände angepasst werden müssen.
Realität und Fiktion sind im Film sehr nah beieinander. Darsteller Ahmad Alzoubi, der im Film gerne einen Film drehen würde, hat das in der Realität bereits in die Tat umgesetzt. „Flucht aus Syrien“ heißt sein 2016 fertiggestellter Dokumentarfilm, der vor allem aus während der Flucht aufgenommenen Handyaufnahmen besteht.
„Deutschkurs“ bedient sich wiederum einiger Sequenzen aus Alzoubis Film. Die betreffende Szene, in die Original-Fluchtvideos reingeschnitten werden, soll verdeutlichen, warum es fatal sein kann, jemanden konkret und aus dem Nichts auf dessen Fluchterfahrung anzusprechen. Auch Szenen aus einem Flüchtlingscamp im Irak, die Darsteller Sami Sleman dort aufgenommen hat, werden in die Handlung eingewoben. Die offizielle Premiere von „Deutschkurs“ folgt beim Bremer Filmfest im September.
Eine Art Gegenpol zu der im Exil entstandenen Musik und Literatur bilden die Ausstellungen „Momentaufnahmen Syrien“ in der Villa Ichon und der Vortrag „Syrien vor dem Krieg“ von Lutz Jäckel. Darin wird gewissermaßen ein Schritt zurück gemacht und gezeigt, was bei der Flucht aus Syrien zurückgelassen werden musste. Die „Momentaufnahmen Syrien“ sind eine Sammlung von privaten Fotos aus Syrien von Bremer*innen mit und ohne syrische Wurzeln.
Das Gefühl des Zurücklassens kann man als nicht Betroffene wohl nie vollkommen verstehen. Trotzdem berühren die Bilder – und das wiederum kann helfen, zumindest zu versuchen nachzuvollziehen, was den Menschen, die hier im Exil leben, fehlt – und für eine sehr lange Zeit fehlen wird, auch wenn man längst angekommen ist.
bis Sa, 31. 8., Bremen, funun-festival.de
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