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„Genickbruch für unsere Arbeit“

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) setzt die Leiterin der Johanna-Eck-Schule ab. Etliche MitarbeiterInnen äußern scharfe Kritik an diesem Schritt

Seit Donnerstag ist die Leitung der Johanna-Eck-Schule vakant Foto: Rueggeberg/neuebildanstalt/plainpicture

Von Nadire Y. Biskin

Seit dem vergangenem Donnerstag ist Mengü Özhan-Erhardt nicht mehr Schulleiterin der Tempelhofer Johanna-Eck-Sekundarschule. Die frühere Koordinatorin des Berliner Netzwerks für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund wurde von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) abgesetzt – trotz Rückhalts bei vielen Mitarbeiter*innen, die den Neustart mit Özhan-Erhardt vor drei Jahren positiv bewerten.

Dem Kollegium gegenüber wurde im Rahmen einer Dienstbesprechung durch die Schulaufsichtsbehörde mitgeteilt, es gebe „gewaltigen öffentlichen Druck“, deshalb habe die Entscheidung, Özhan-Erhardt zu beurlauben, eine „Schutzfunktion“. Mehrere Mitarbeiter*innen können das nicht nachvollziehen und kritisieren es scharf. Sie begründen das gegenüber der taz damit, dass Özhan-Erhardt auch bisher nicht geschützt worden sei. Sie sind der Auffassung, dass Scheeres’ Entscheidung die Unruhe in der Schule noch vergrößern und zu Protesten der Eltern führen werde. Am Ende litten die Schüler*innen darunter.

Ihre Namen wollen die Mitarbeiter*innen nicht nennen: Von der Schulaufsichtsbehörde sei ihnen mitgeteilt worden, „sich an die Medien zu wenden sei jetzt der größte Fehler“. Aber es sei jetzt „eine Grenze überschritten“, finden sie. „Unser Schweigen und Aushalten hat nichts gebracht.“ Am Freitag sammelten sie im Lehrer*innenzimmer 28 Unterschriften für den Aufruf „Wir wollen Frau Özhan-Erhardt wieder zurück!“, der von der Ge­samt­elternvertretung initiiert und auch von Schüler*innen unterzeichnet wurde.

Unmut äußerten die Mit­ar­bei­ter*innen auch in den sozialen Medien: „Unsere Schulleiterin wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgezogen“, heißt es im Tweet einer Kollegin, dazu Hashtags wie #scheeresknicktein, #schulemitrassismus und #senatohnecourage. Im Beitrag einer anderen Lehrerin auf Facebook, den diese mittlerweile stumm geschaltet hat, heißt es: „Leidtragende sind die Schüler*innen und Lehrer*innen der JES, die von der Senatsverwaltung mit dem angerichteten Chaos allein stehen gelassen werden. Für uns ist das Abziehen der Schulleiterin der Genickbruch für unsere wertvolle und engagierte Arbeit. Die Berliner Bildungspolitik schaufelt sich ihr eigenes Grab.“

Die Konflikte an der Johanna-Eck-Oberschule haben sich über die Jahre angestaut. Mengü Özhan-Erhardt hatte sich als Schulleiterin über Rassismus seitens einiger Kolleg*innen beklagt. Auf dieser Leitungsebene war das ein neuer Vorwurf an Berliner Schulen, vielleicht, weil es bislang wenige People of Color in Führungspositionen gibt. Darüber, wie neu und teilweise überfordernd die Rassismuskritik für das Schulpersonal ist, lassen sich nur Vermutungen anstellen.

Ebenso überfordernd ist offenbar Özhan-Erhardt für einige Kolleg*innen. „Sie ist eine Frau, gut aussehend, hat einen türkischen Migrationshintergrund und ist eine kompetente Schulleiterin. Das übersteigt offenbar die Vorstellung einiger“, sagt eine der Mitarbeiter*innen, die nicht namentlich genannt werden wollen. Sie berichten davon, dass im Kollegium immer wieder der Migrationshintergrund einiger Mitarbeiter*innen thematisiert worden sei. Wörter wie „Clan“ und „Sippschaften“ seien gefallen.

Özhan-Erhardt kontaktierte die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bildungsverwaltung, Saraya Gomis, in der Hoffnung, an der Schule Rassismus-Sensibilität vermitteln zu können. Doch auch Gomis selbst erfuhr Rassismus, bekam Tiergeräusche zu hören, seitens einer Kollegin war die Rede von „Affentheater“. Später wiesen Lehrer*innen gegenüber Medien den Rassismusvorwurf mit der Begründung von sich, sie hätten schließlich für Özhan-Erhardt als Schulleiterin gestimmt.

Zuletzt machte die Schule Schlagzeilen damit, dass einige Sozialpädagogen die Schule verlassen, und mit Beschwerden, weil mindestens eine Lehrkraft mangelhafte Sprachkenntnisse haben soll. Nach welchen Kriterien Letztere eingestuft werden, ist dabei unklar, ebenso, welches Fach die Lehrkraft unterrichtet. Je nachdem, ob es sich um eine Deutsch-, Sport- oder Englischlehrkaft handelt, ist das Sprachniveau durchaus unterschiedlich zu bewerten.

Die AfD hat das Thema bereits dankbar aufgegriffen: Sie bezeichnet die Johanna-Eck-Schule im Netz als „Chaos­schule“. Auf einer Seite der Rechts­populisten heißt es: „Deutschdefizite bei Lehrern – 20 gingen! Auf dem Rücken unserer Kinder. Jetzt flüchten sogar die Mitarbeiter.“ Die AfD-Politikerin Jeanette Auricht forderte einen „geregelten Schulalltag mit Lehrern, die unserer Landessprache mächtig sind“.

Nicht mehr sichtbar ist seit Kurzem ein Statement der Johanna-Eck-Oberschule auf ihrer Facebook-Präsenz. Darin werfen die Autor*innen einzelnen Tageszeitungen und der AfD Hetze vor und teilen ihre Forderung mit: „Wir fordern eine Bildungssenatorin mit Courage, eine Schule mit Diversität und Qualität, eine Schule ohne Rassismus. Wir fordern den Senat auf, die Fehlentscheidung rückgängig zu machen.“

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