: Sachsen geht’s gut, den Beschäftigten weniger
Sachsen ist das ökonomisch erfolgreichste der ostdeutschen Bundesländer, vor allem dank des starken industriellen Herzens in der Region Zwickau/Chemnitz. Die Wirtschaft wächst stabil. Doch die Beschäftigten profitieren davon weniger als anderswo. „Sächsische Betriebe bezahlen um 5 Prozent niedrigere Löhne und Gehälter als andere ostdeutsche Betriebe, die hinsichtlich der Größe, der Branchenzugehörigkeit, der Qualifikationsstruktur der Beschäftigten und des technische Standes identisch sind“, heißt es in einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Der Grund: In keinem anderen Bundesland werden so wenige Beschäftigte nach Tarif bezahlt wie in Sachsen. „Dabei hat Sachsen eine gute Wirtschaftsstruktur, die für höhere Löhne als in den anderen ostdeutschen Bundesländern sprechen würde“, sagt Malte Lübker, einer der Studienautoren. In Sachsen sitzen rund 3.100 Industriebetriebe. Am stärksten ist die Autoindustrie, eine wichtige Rolle spielen auch der Maschinenbau, die Metallerzeugung, die Produktion von elektrischen Ausrüstungen sowie Futter- und Nahrungsmitteln. JedeR zehnte ArbeitnehmerIn ist in der Metall- oder Elektroindustrie beschäftigt. Der Autobauer Volkswagen ist mit rund 10.000 Leuten der größte Arbeitgeber. Er produziert in Zwickau, Dresden und Chemnitz. Bei Autoherstellern und Zulieferern arbeiten insgesamt mehr als 80.000 Leute, andere Wirtschaftszweige profitieren indirekt von der Branche. Die sächsische Arbeitslosenquote lag im Juli 2019 bei nur 5,3 Prozent, das waren 0,3 Prozentpunkte mehr als im Bundesdurchschnitt.
In Sachsen sind der Studie zufolge nur 15 Prozent der Betriebe tarifgebunden, darunter auch Volkswagen. In den übrigen ostdeutschen Bundesländern sind es immerhin 20 Prozent, in Westdeutschland 29 Prozent. Tarifgebunden ist ein Unternehmen, wenn es einem Arbeitgeberverband angehört, der mit einer Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließt. Beschäftigte in solchen Betrieben verdienen in der Regel besser und haben bessere Bedingungen, etwa mehr Urlaub, weil Gewerkschaften eine größere Verhandlungsmacht haben als einzelne ArbeitnehmerInnen. In Sachsen erhalten nur 39 Prozent der Beschäftigten Tariflohn, in den 1990er Jahren waren es noch 70 Prozent. In den anderen ostdeutschen Ländern sind es 46 Prozent, in Westdeutschland 57 Prozent der Beschäftigten. Im sächsischen Nachbarland Tschechien arbeiten ebenfalls 46 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben.
Die niedrige Tarifbindung in Sachsen sei auch das Ergebnis des über viele Jahre von der Landespolitik propagierten Leitbildes vom „Billiglohnland“, heißt es in der Studie. Landespolitiker wollten mit dem Hinweis auf die geringeren Lohnkosten Unternehmen anlocken. „Das ändert sich unserer Einschätzung nach“, sagt Lübker. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels seien niedrigere Löhne für Unternehmen eher ein Standortnachteil. Anja Krüger
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