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Ein Schachzug der Justiz gegen Salvini

Die „Open Arms“ kann mit 83 Flüchtlingen an Bord Lampedusa anlaufen. Ein Staatsanwalt ermöglichte dies – und ermittelt gegen italienische Behörden

Ein spontaner Chor begrüßt auf Lampedusa die „Open Arms“ Foto: Friedrich Bungert/dpa

Aus Rom Michael Braun

Nach 19 Tagen hat die Odyssee der „Open Arms“ ein Ende. Am späten Dienstagabend legte das Rettungsschiff im Hafen von Lampedusa an – und die an Bord verbliebenen 83 Flüchtlinge konnten an Land gehen.

Vorausgegangen waren dramatische Stunden auf dem Schiff der spanischen NGO Proactiva Open Arms, das seit fünf Tagen nur 800 Meter von Lampedusa entfernt vor Anker lag, nachdem ein Verwaltungsgericht das vom Innenministerium ausgesprochene Verbot, in italienische Hoheitsgewässer einzufahren, aufgehoben hatte. Schon am Morgen war ein Syrer ins Wasser gesprungen, um die zu Italien gehörende Insel, die nur 140 Kilometer von Tunesien entfernt liegt, schwimmend zu erreichen. Er wurde von der italienischen Küstenwache aufgefischt, die ihn jedoch nicht wieder zurück auf das Schiff, sondern an Land brachte.

Wenige Stunden später taten es ihm dann neun Flüchtlinge nach, und um 13 Uhr sprangen noch einmal fünf von Bord; sie alle wurden von Rettungsschwimmern der Küstenwache in Sicherheit gebracht und konnten den Fuß auf italienischen Boden setzen.

Am Nachmittag schließlich ließ sich der leitende Staatsanwalt von Agrigent auf Sizilien, Luigi Patronaggio, per Helikopter nach Lampedusa fliegen, um das Schiff zu inspizieren. „Die Lage ist explosiv, ich muss Ruhe in die Situation bringen und dafür sorgen, dass sich niemand Leid zufügt“, erklärte er vor dem Abflug. Dabei war er nahe der Einschätzung, die „Open Arms“-Gründer Oscar Camps abgab. Das Schiff habe „sich in ein libysches Flüchtlingslager verwandelt, alle sind dicht aufeinandergedrängt, ohne zu wissen für wie lange Zeit“.

Nachdem Patronaggio, begleitet von Ärzten, die Inspektion vorgenommen hatte, verfügte er die „präventive Beschlagnahmung“ des Schiffes, die er mit den katastrophalen „hygienisch-sanitären und psychologischen Bedingungen an Bord“ begründete. Mit anderen Worten: Die Beschlagnahmung war vor allem der Schachzug, um den Flüchtlingen den Landgang zu ermöglichen. Sie soll – so der Staatsanwalt – verhindern, dass die Straftat fortgesetzt wird, derentwegen er nun ermittelt: Amtsmissbrauch und Unterlassung von Amtshandlungen.

Schon dies macht klar: Die Staatsanwaltschaft Agrigent ermittelt nicht etwa gegen die spanische NGO, sondern gegen italienische Beamte, nachdem sie schon in der vergangenen Woche ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung eingeleitet hatte.

Denn der Fall der „Open Arms“ ist juristisch anders gelagert als der Fall der „Sea Watch“. Deren Kapitänin, Carola Rackete, hatte sich Ende Juni erst über das von Italiens Innenminister Matteo Salvini verfügte Verbot hinweggesetzt, in italienische Hoheitsgewässer einzufahren, und hatte schließlich, wiederum gegen die Anweisungen der Behörden, im Hafen Lampedusas angelegt. Sie wurde daraufhin verhaftet, und auch wenn sie nach wenigen Tagen freikam, läuft das Verfahren gegen sie weiter. Die Crew der „Open Arms“ dagegen hat sich über keinerlei Verbote hinweggesetzt. Bis zum Ende wartete sie darauf, welches Ende das Tauziehen zwischen Italien und Spanien nehmen würde, das eingesetzt hatte, nachdem sich die Regierung in Madrid dazu bereit erklärt hatte, Mallorca als sicheren Hafen anzubieten.

Die Lage ist explosiv, ich muss Ruhe in die Situation bringen und dafür sorgen, dass sich niemand Leid zufügt

Luigi Patronaggio, leitender Staatsanwalt auf Sizilien

Das „Open Arms“-Team hatte geantwortet, es könne den Flüchtlingen auf dem eigenen Schiff eine weitere mehrtägige Reise nicht zumuten. Daraufhin hatte Italiens Verkehrsminister Danilo Toninelli – er gehört zur Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) – angeboten, Schiffe der italienischen Küstenwache könnten den Transport übernehmen. Allerdings verlangte Toninelli im Gegenzug von der spanischen Regierung, sie müsse der „Open Arms“ das Recht entziehen, unter spanischer Flagge zu fahren.

Margarita Robles, Spaniens Verteidigungsministerin, erklärte nun ihrerseits, ihr Land schaue „nicht weg, wie es der italienische Minister Salvini tut“, und entsandte ein Kriegsschiff Richtung Lampedusa, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Doch zur selben Stunde hatte Staatsanwalt Patronaggio den Landgang der Migranten verfügt – die spanische Mission wurde damit überflüssig.

Die Justiz hat Salvini damit eine weitere Schlappe zugefügt, und der Noch-Minister fühlt sich von den in Agrigent eingeleiteten Ermittlungsverfahren durchaus angesprochen. Zwar richten die sich vorerst gegen unbekannt, doch wer die Weisungen erteilt hat, ist ein offenes Geheimnis: Salvini selbst. In einem Facebook-Video dekretierte er, an Bord habe es bloß „eingebildete Kranke, eingebildete Minderjährige“ gegeben.

Und die Ermittlungen, vorneweg wegen Freiheitsberaubung? „Ich habe keine Angst, ich bin stolz, die Grenzen und die Sicherheit meines Landes zu verteidigen.“