Fabian Kretschmer über die Spannungen zwischen Japan und Südkorea: Politisierter Volkszorn
Ob in U-Bahn-Wagons, Taxis oder Einkaufsläden: Praktisch überall in Korea kleben „No Japan“- Sticker, die zum Boykott gegen das östliche Nachbarland aufrufen.
In einer Gesellschaft, die gern moralisch hohe Standards propagiert und überaus konformistisch geprägt ist, jazzt sich der diplomatische Konflikt zum hysterischen Skandal hoch: Jeder Bürger versucht im öffentlichen Diskurs, bei der ethischen Verurteilung Japans noch eine Schippe draufzulegen. Unter vorgehaltener Hand jedoch haben viele Südkoreaner eine wesentlich nuanciertere Meinung.
Im Zentrum des Handelskonflikts – und das ist in diesen Tagen leicht zu vergessen – stehen die koreanischen ZwangsarbeiterInnen, die von japanischen Unternehmen ausgebeutet wurden und später in ihrer Heimat erneute Stigmatisierung erfahren haben.
Nachdem Südkoreas Oberster Gerichtshof im letzten Herbst beschloss, das Eigentum japanischer Unternehmen für Kompensationszahlungen zu beschlagnahmen, reagierte Tokios Premier Shinzo Abe mit protektionistischen Vergeltungsmaßnahmen. Japan beruft sich auf den gemeinsamen Grundlagenvertrag von 1965, in dem es die Kompensation für die Zwangsarbeiter bereits abgegolten hat. Jedoch wurde das Geld von Südkoreas damaliger Militärregierung nicht an die Betroffenen weitergeleitet, sondern in die Modernisierung des Landes gesteckt.
Zu Recht mahnt Südkoreas Zivilgesellschaft an, dass jene Einigung mit einem demokratisch nicht legitimierten Autokraten zustande gekommen ist, der sich 1960 an die Macht geputscht hat. Ebenso basieren die damaligen Entschädigungen nur auf japanischem Arbeitsrecht. Wiedergutmachungen nach modernen Menschenrechtsstandards stünden bis heute aus.
Doch die Klagen einiger Zwangsarbeiter richten sich auch gegen die eigene Regierung: Diese hat es bislang ebenfalls versäumt, den Opfern der japanischen Kolonialmacht die vor Jahrzehnten versprochenen Kompensationszahlungen zukommen zu lassen – und ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen.
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