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Wenn das Gastrecht erlischt

Die AKP lässt eine Hau-ab-Kampagne gegen Syrer*innen in Istanbul durchführen. Bürgermeister İmamoğlu rühmt sich, Vater des Gedankens zu sein

Von Meral Candan

Am 22. Juli kündigte das Gouverneursamt von Istanbul der Presse an, gegen „irreguläre Migration“ vorgehen zu wollen. Noch am gleichen Tag nahmen die Kontrollen der Sicherheitskräfte stark zu. Den Betroffenen wurde eine Frist gesetzt: Wer nicht in Istanbul registriert ist, muss die Stadt bis zum 20. August verlassen.

Laut Innenministerium leben in Istanbul 1.069.860 Geflüchtete, von denen 522.381 offiziell registriert sind. Viele Syrer*innen sind aus den teils abgelegenen Kleinstädten hergekommen, in denen sie offiziell registriert sind.

In Stadtteilen, in denen Syrer*innen vermehrt wohnen und arbeiten, fanden Polizeirazzien statt. Das Innenministerium gab bekannt, dass bei den Razzien im Juli 6.122 nicht in Istanbul registrierte Personen in Untersuchungshaft genommen wurden.

Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 verfolgte die Türkei eine Politik der offenen Tür. In einer Studie des Zentrums für Migrationsforschung der Hacettepe Universität aus dem Jahre 2014 sahen 72,2 Prozent der Befragten die Syrer*innen als „Gäste“ in der Türkei und Glaubensgeschwister.

Sündenböcke für die Wirtschaftskrise

In einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Konda gaben nur noch 31 Prozent der Befragten an, dass sie mit Syrer*innen im gleichen Viertel wohnen wollen würden. 2016 waren es noch 57 Prozent. Einer der wichtigsten Faktoren für diesen Wandel ist die Annahme, dass Syrer*innen für die Wirtschaftskrise im Land verantwortlich seien.

Er wurde nicht nur durch die diskriminierende Rhetorik von Oppositionspolitikern befeuert, die gegen die Aufnahmepolitik der Regierung anredeten, sondern auch durch Fake News, die in den sozialen Medien kursieren. Dort heißt es, Syrer*innen bekämen ein Grundeinkommen vom Staat, würden in Krankenhäusern bevorzugt und ohne Wartezeiten behandelt oder dürften sich ohne Aufnahmeprüfung an den besten Universitäten der Türkei einschreiben.

In der Türkei leben insgesamt 4,9 Millionen Immigrant*innen unter einem temporären Schutzstatus. 3 Millionen 643 Tausend von ihnen sind Syrer*innen. Laut Sadettin Akyıl, Referatsleiter beim Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit, haben aber nur 82.000 Syrer*innen eine offizielle Arbeitserlaubnis.

Syrer*innen müssen beim Ministerium einen persönlichen Antrag auf Arbeitserlaubnis stellen. Die Rechtslage erlaubt ihnen nur in der Stadt einer Arbeit nachzugehen, in der sie registriert sind. Allerdings können Arbeitgeber*innen, die Sy­rer*innen beschäftigen wollen, ebenfalls einen Antrag stellen. Ihnen wird zur Bedingung gemacht, dass die Zahl der syrischen Beschäftigten nicht mehr als 10 Prozent der gesamten Beschäftigten übersteigt und syrische Arbeitnehmer*innen mindestens den gesetzlichen Mindestlohn ausgezahlt bekommen.

Arbeitgeber*innen, die sich vor diesem Aufwand scheuen, setzen Syrer*innen ohne Arbeitserlaubnis als billige Arbeitskräfte ohne Sozialversicherung ein. Ebenfalls im Juli gab das Innenministerium bekannt, dass Unternehmen, die Geflüchtete informell beschäftigen, mit hohen Geldstrafen zu rechnen haben. Daraufhin verbreiteten sich in den Medien die Nachrichten, dass viele Unternehmen Syrer*innen feuerten.

Die diskriminierungsfreudige Stimmung gegenüber Syrer*innen drückt sich nicht zuletzt auch in Hassverbrechen aus. Im Juni 2019 fanden im Izmirer Bezirk Bornova drei Tage lang konzertierte Übergriffe auf Syrer*innen statt. Auslöser waren unbestätigte Gerüchte, die in den sozialen Medien kolportiert wurden. In Istanbul soll ein Syrer ein türkisches Kind sexuell belästigt haben.

Der Mob stürmte Geschäfte, die Werbetafeln in arabischer Schrift angebracht hatten. Angreifer drangen in Wohnungen ein und versuchten, die syrischen Bewohner*innen eigenmächtig auf die Straße zu setzen. Laut Innenminister Süleyman Soylu sind im laufenden Jahr bisher 43.000 Immigrant*innen aus der Türkei abgeschoben worden und weitere 7.000 in Abschiebegewahrsam.

Didem Danış ist Soziologiedozentin an der Galatasaray Universität und Mitgründerin des Vereins für Migrationsforschung. Sie führt die negative Stimmung gegenüber Syrer*innen auf die Wirtschaftskrise zurück. Vor nicht allzu langer Zeit sei bei Ausländer*innen, die zum Arbeiten in die Türkei kamen, noch gern ein „Auge zugedrückt“ worden. Innenminister Soylu hatte mehrfach den Beitrag der Geflüchteten zur türkischen Wirtschaft unterstrichen.

Danış geht davon aus, dass die gegenwärtige Kampagne weniger das Ziel verfolgt, Syrer*innen aus Istanbul zu vertreiben, als vielmehr ein Ventil für den in der Bevölkerung brodelnden Hass zu bieten. „Das ist keine echte politische Maßnahme. Sie wollen schlicht den Syrer*innen Angst einjagen, damit sie nicht mehr auf die Straße gehen und nicht mehr sichtbar sind. Denn viele Türk*innen begründen ihre Ablehnung damit, dass die Syrer*innen im Alltag zu präsent seien.“

Der Istanbuler CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu kritisiert, dass die Regierung die Syrer*innen als politisches Werkzeug benutzt, statt eine effiziente Integrationspolitik umzusetzen. Tanrıkulu verweist auf eine Vielzahl von Regierungsstatements der letzten Jahre, in denen die in der Türkei lebenden Syrer*innen offen als Trumpfkarte gegen die EU ausgespielt wurden.

İmamoğlu: Ab in die Heimat

Auch die gegenwärtige Kampagne stehe im Zusammenhang mit den Bürgermeisterwahlen in Istanbul, die am 23. Juni wiederholt worden waren. Allerdings wird die Kampagne gegen die Istanbuler Syrer*innen nicht nur von der AKP getragen. Der siegreiche CHP-Kandidat Ekrem İmamoğlu hatte im April im Wahlkampf gesagt, er wolle „wegweisende Lösungen“ dafür entwickeln, die fast eine Million Syrer*innen in der Stadt „zurück in ihre Heimat“ zu führen.

Nach dem Beschluss des Gouverneursamts betonte İmamoğlu in einem Interview mit der Deutschen Welle, die Zentralregierung habe das Thema dank seiner Initiative zur Priorität erklärt. Zwar wolle er sich für alle humanitären Belange der in Istanbul lebenden Geflüchteten einsetzen, doch das Vorgehen des Gouverneursamts sei notwendig und richtig: „Letztendlich müssen die syrischen Geflüchteten wieder in ihre eigene Heimat zurückkehren.“

Übersetzung: Aşkın Hayat Doğan

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