Studie über die Straßenkämpfer der Nazis: Militante Männlichkeit

Die Mitglieder kamen aus allen Gesellschaftschichten: Daniel Siemens' Standardwerk „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“ klärt auf.

Die Gruppe der Sturmabteilung Berlin-Brandenburg steht stramm in Reihen im Dezember 1935

Inspektion der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg durch den Stabschef Victor Lutze am 8. 12. 1935 Foto: bpk

Im Vergleich zu anderen nationalsozialistischen Organisationen und ihrem führenden Personal ist die „Sturmabteilung“ (SA) von der historischen Forschung bis heute weniger beachtet geblieben. Man kennt zwar den Bedeutungsverlust der nach der NSDAP mitgliederstärksten nationalsozialistischen Massenorganisation nach der buchstäblichen Enthauptung der SA in der „Nacht der langen Messer“ vom 30. Juli 1934. Doch das ist eine Verkürzung, wie die kenntnisreiche Studie des in Newcastle forschenden und lehrenden deutschen Historikers Daniel Siemens nun zurechtrückt.

Auch die Charakterisierung der SA als „Herrschaft des Pöbels“ ist zwar nicht falsch, greift aber zu kurz und diente apologetischen Zwecken. Etwa dem der Ehrenrettung des deutschen Bürgertums: so, als ob diesem 1933 die politische Herrschaft von einer (lumpen-)proletarischen Bande in Gestalt der Braunhemden der SA von „der Straße“ entrissen worden sei.

Die minutiöse und umfangreiche Analyse von Siemens belegt, dass schon sehr früh erhebliche Teile der SA-Mitglieder nicht Arbeiter und Arbeitslose waren, sondern Studenten und Mittelschichtangehörige, ganz zu schweigen von der massiven Unterstützung, die die SA bei protestantischen Pastoren fand.

Die oberen Ränge der militärisch strukturierten SA waren exklusiv mit Offizieren besetzt, die im Ersten Weltkrieg in der Kaiserlichen Armee gedient hatten, diesen verloren und danach oft vor dem beruflich-geschäftlichen Nichts standen.

Daniel Siemens: „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“. Aus dem Englischen von Karl Heinz Sieber. Siedler Verlag, München 2019, 589 S., 36 Euro.

Im Gegensatz zur SA-Führungsriege waren die anderen Mitglieder zum größten Teil jüngere Menschen der Jahrgänge 1900 bis 1910. Historiker Siemens spricht deshalb (im Anschluss an eine Studie von Ernst Günther Gründel aus dem Jahr 1932) von der „Kriegsjugendgeneration“, die gezeichnet war von einer Kindheit und Jugend zur Mobilisierung und während des Ersten Weltkriegs.

Emotionale Heimat für junge Menschen

Und die neben dem Nationalismus einem ausgesprochenen Kult „militanter Männlichkeit“ huldigte, von dem auch die SA-Führung stark geprägt war, die zudem auf Charisma und Hierarchie pochte. Die SA bot vielen jungen Menschen eine emotionale Heimat in einer „Gemeinschaft der Tat“, von der ein Aktivist meinte, sie habe ihn „zum ersten Mal als vollwertigen Menschen anerkannt“.

Die Geschichte der SA lässt sich in drei historische Etappen unterteilen: die Frühphase von 1920/21 bis 1923, danach den Aufstieg zur Massenorganisation und ab 1934 als Organisation im NS-Staat. Markante historische Ereignisse markieren die drei Phasen: der gescheiterte Hitler-Putsch am 9.November 1923, die Ermordung des SA-Führers Ernst Röhm und rund hundert weiterer Personen aus seinen Zirkeln vom 30. Juli bis 2. August 1934. Und am Ende stand der Untergang des „Dritten Reichs“ im Jahre 1945.

In der Frühphase war die SA eine fast nur auf Bayern beschränkte paramilitärische Schutztruppe für den NSDAP-Führer Adolf Hitler sowie ein ideologisches Indoktrinationsinstrument. Als Gründungsdatum gilt der 4. November 1921, als sich im Münchner Hofbräuhaus 46 SA-Männer mit „Soldaten des Judenmarxismus“ (Hitler) nach einer Rede des Führers eine wüste Saalschlacht lieferten – mit Knüppeln, Peitschen und Stuhlbeinen, aber noch ohne weitere Waffen. SA-Chef war damals der Pfarrerssohn Hans Ulrich Klintzsch, der im März 1923 von Hermann Göring abgelöst wurde.

Nach dem gescheiterten Putsch Hitlers vom 9. November 1923 wurde die NSDAP verboten und die SA aufgelöst. Ernst Röhm begann im Frühjahr 1924 mit dem Wiederaufbau der Organisation, zunächst unter dem Namen „Völkischer Frontkampfbund Frontbann“, während Hitler im Februar 1925 nach seiner Haftentlassung die NSDAP wiedergründete. Am 1. November 1926 übernahm der ehemalige Freikorpsführer Franz Pfeffer von Salomon als Oberster SA-Führer die Leitung, neben der Propaganda widmete sich die Organisation intensiv dem Straßenkampf und Überfällen auf Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden.

Nach seinem bolivianischen Intermezzo wurde Röhm von Hitler 1931 erneut an die Spitze der SA geschoben, die damals bereits über 88.000 Mitglieder im ganzen Land verfügte. Seit 1926 uniformierten sich die SA-Männer mit braunen Uniformen, die sie selbst bezahlten und über einen SA-eigenen Fanartikelshop beziehen mussten. Den belieferte der Textilindustrielle Hugo Boss (Metzingen), die Lederwarenfabrik Breuninger (Schorndorf) sowie der Zigarettenfabrikant Schnur, ein Strohmann des damaligen „Tabakkönigs“ Philipp F. Reemtsma. Die drei Industriellen leisteten im Gegenzug Spenden an die SA.

Krise, Straßenterror und Boykottaktionen

Die Weltwirtschaftskrise, das Notverordnungsregime unter den Kanzlern Brüning und von Papen sowie die Wahlerfolge der ­NSDAP verschafften den Straßenkämpfern der SA weiter Auftrieb, ebenso der Reichstagsbrand im Februar 1933. Danach überzog die SA das ganze Land mit Straßenterror, „Säuberungen“ von Behörden, Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte bis hin zur willkürlichen Internierung von rund 80.000 Personen in provisorischen Konzentrationslagern und Folterkellern.

Historiker Siemens

„Die SA verstand sich als eine Organisation, die sich einen rechtsfreien Raum geschaffen hatte und dem deutschen Strafgesetzbuch nicht unterlag“

„Die SA verstand sich 1933 als eine Organisation, die sich einen rechtsfreien Raum geschaffen hatte und dem deutschen Strafgesetzbuch nicht unterlag“, so Historiker Siemens. Es war der Höhepunkt der Macht- und Gewaltentfaltung der SA, die sogar eine eigene Gerichtsbarkeit anstrebte und in den Jahren 1933/34 rund 72 Millionen Reichsmark aus der Staatskasse abzweigte.

Röhms 133 „Sonderkommissare“ blieben aber nur einige Monate im Amt, denn Hitler und die Reichswehrführung waren entschlossen, der Nebengewalt der SA ein blutiges Ende zu bereiten und die „nationale Revolution“ für beendet zu erklären. Am 30. Juli wurden Röhm, die SA-Führung und die konservative Opposition um General Kurt von Schleicher ermordet.

SA starke Massenorganisation

Staatsrechtler Carl Schmitt segnete den beispiellosen Mord an rund 100 Personen mit dem Diktum ab, „der Führer schützt das Recht“. Die SA blieb eine starke Massenorganisation, erholte sich aber nie von diesem Schlag und verlor an politischem Einfluss. Sie wurde von der NSDAP an eine sehr kurze Leine gebunden.

Nach 1945 profitierten die höheren SA-Führer von einem Urteil im Nürnberger Prozess, das die SA als „unbedeutende Nazi-Anhängergruppe“ und nicht als „verbrecherische Organisation“ einstufte. Nachkriegskarrieren wie die des Tübinger Oberbürgermeisters Hans Gmelin (1911–1991) wurden so möglich.

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