piwik no script img

Umgebenvon tauben Ohren

Eine, die sich auskennt mit den Neumünsteraner Verhältnissen: Angelika Beer gründete hier die Grünen mit, für die sie dann auch in den Bundestag ging. Später war sie prominente Piraten-Abgeordnete. Und nie hat sie aufgehört, sich gegen die Neonazis in ihrer Heimatstadt zu engagieren

Von Sven-Michael Veit

Wenn es gegen die politische Rechte geht, steht Angelika Beer immer in der ersten Reihe. Und in ihrer Heimatstadt Neumünster erst recht. „Ich werde in der Stadt schon mal angepöbelt“, sagt sie. Und dass sie es verstehen könne, wenn manche Leute „sich wegducken“ vor den Neonazis, die es in der Stadt im Zen­trum Schleswig-Holsteins zuhauf gibt. Für Angelika Beer keine Option: „Der Kampf“, sagt sie, „geht weiter.“

Diesen Kampf führt die gelernte Arzthelferin sowie Rechtsanwaltsgehilfin schon lange. Im Kommunistischen Bund (KB) startete sie in den 1970er-Jahren, 1980 war sie Gründungsmitglied der Grünen in Neumünster. Zwölf Jahre saß sie für die Öko-Partei im Bundestag, war verteidigungspolitische Sprecherin, 2002 bis 2004 war sie Bundesvorsitzende und anschließend Europaabgeordnete. 2009 verließ sie die Grünen im Streit und schloss sich den Piraten an, für die sie von 2012 bis 2017 im Kieler Landtag saß, wo sie Sprecherin ihrer Fraktion für Minderheiten und Migration war.

Auch im „Bündnis gegen Rechts“ in Neumünster ist Beer seit Langem aktiv, den dortigen „Verein für Toleranz und Zivilcourage“ (Tolzi) hat sie im Oktober 2000 mitgegründet,bis heute sitzen ihr Mann Peter Matthiesen und sie im Vorstand. Ziel des Vereins ist es, mit Projekten und Aktivitäten in der demokratischen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung „den zunehmenden rechtsradikalen und rechtsextremistischen Aktivitäten“ in Neumünster entgegenzuwirken. Denn das sei bitter nötig, sagt die 62-Jährige, hier im „Osten des Nordens“.

„Mit Antifaschismus läuft man hier gegen Wände“, klagt Beer – auch im Stadtrat „nur taube Ohren“. Von offizieller Seite werde seit Jahrzehnten nichts gegen die ganz Rechten unternommen, das Problem totgeschwiegen. „Kein Wunder, dass die Neonazis fast schon in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind“, sagt Beer: Zwei NPD-Abgeordnete sitzen seit Mai 2018 in der Ratsversammlung.

Wie sehr auch die Justiz auf dem rechten Auge blind sei, belegt nach Beers Ansicht die Weigerung der Staatsanwaltschaft Kiel, Ermittlungen wegen Volksverhetzung einzuleiten – gegen Plakate der NPD im Europawahlkampf. Eine Anzeige des Bündnisses gegen Rechts vom 10. Mai war abgewiesen worden: Es gebe, „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Volksverhetzung“, heißt es im Antwortschreiben vom 22. Mai.

„Den auf den Plakaten verwendeten Formulierungen ‚Stoppt die Invasion: Migration tötet‘ und ‚Widerstand jetzt‘ kann ein Aufstacheln zum Hass nicht entnommen werden“, so die Begründung. Im Wahlkampf, in dem „polemische Zuspitzungen und bewusste Provokationen als zulässige Mittel angesehen werden müssen“, sei „das erforderliche Maß eines besonders qualifizierten Anreizens zu einer feindseligen Haltung noch nicht erreicht“. Die NPD-Plakate, die auch direkt vor der Erstaufnahmeeinrichtung Neumünster hingen, seien insgesamt „nicht geeignet, in Deutschland lebende Migranten zu beschimpfen, böswillig verächtlich zu machen oder ihre Menschenwürde anzugreifen“, so die Argumentation. An dieser juristischen Bewertung, heißt es abschließend, ändere auch „die von dieser Auffassung abweichende Rechtsauffassung verschiedener Verwaltungsgerichte in anderen Bundesländern nichts“.

Etliche Gerichte in Deutschland hatten im Europawahlkampf die gleichen Plakate wegen „Volksverhetzung“ entfernen lassen, viele Städte und Landkreise hatten das von sich aus getan. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte drei Klagen der NPD gegen diese Verfügungen im Eilverfahren zurückgewiesen – allerdings erst am 25. Mai, drei Tage nach dem Schreiben der Kieler Staatsanwaltschaft.

Es werde in Neumünster „eben nichts gegen Neonazis unternommen“, sagt Angelika Beer. „Aktiv behindert wird hier nur der Antifaschismus.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen