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Er holte die Welt nach Caputh

Albert Einstein und sein Architekt: Der junge Konrad Wachsmann war ein Spezialist für Holzbauten, als er 1929 zusammen mit dem berühmten Physiker dessen Haus in Caputh entwarf. Ein Glück von kurzer Dauer

Das Gebäude wurde optisch in zwei Hälften geteilt, in ein klassisches Holzhaus mit spitzem Ziegeldach und einen flachen Kubus mit groß­zügiger Fensterfront Foto: Martin Kirchner/laif

Von Marlene Militz

Nur eine Fahrt mit dem Regionalzug von Berlin entfernt liegt Caputh am Schwielowsee. Grün und ruhig ist es hier, so wie in den meisten Orten im Havelland. Doch am Rand von Caputh, schon halb im Wald verborgen, steht ein kleines Stück deutscher (Architektur-)Geschichte: das Einsteinhaus.

Man nähert sich dem rot gestrichenen Gebäude von einer Waldböschung und blickt zuerst auf lange, horizontale Holzbretter, die die gesamte hintere Fassade bestimmen. Es gibt keine Verzierung, keine Dekoration. Nur ein paar herausragende Balken zwischen den Geschossen, die deutlich machen: Dies hier ist ein Holzhaus. Denn so wünschte es sich Albert Einstein.

Vor genau 90 Jahren schenkte der Berliner Oberbürgermeister Gustav Böß dem Naturwissenschaftler Prof. Dr. Albert Einstein anlässlich von dessen 50. Geburtstag ein damals noch zu bauendes Haus auf einem noch nicht erworbenen Grundstück. Allerdings wurde mit zunehmendem antisemitischem Druck publik, dass Böß nicht berechtigt war, ein derart kostspieliges Geschenk im Namen der Stadt zu machen. Daraufhin nahmen Albert und Elsa Einstein die Planung und Finanzierung ihres neuen Sommerhauses selbst in die Hand.

Als der junge Architekt Konrad Wachsmann morgens am Frühstückstisch im sächsischen Niesky in der Zeitung von dem Bauvorhaben der Einsteins las, nahm er kurzerhand den nächsten Zug nach Berlin. Der 27-Jährige arbeitete seit zwei Jahren bei der Firma Christoph & Unmack als Chefarchitekt. Zuvor hatte er die beste avantgardistische Architekturausbildung genossen: Studium bei Heinrich Tessenow und Hans Poelzig in Dresden und Berlin, danach ein Praktikum bei einem der prominentesten Vertreter der Moderne: Le Corbusier. Kurz darauf stieg er bei der auf Holzhausbau spezialisierten Firma ein, die in den 1920er Jahren mit Walter Gropius und Hans Scharoun bereits namhafte Architekten der Moderne für sich gewinnen konnte.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Wirtschaftskrise mangelte es erheblich an Baumaterialien wie Stahl und Zement, gleichzeitig herrschte große Wohnungsnot. Der Holzhausbau war die Lösung. Wachsmann setzte seine Arbeit in den Dienst der industriellen Massenproduktion, um diese endlich auch für den modernen Holzbau nutzbar zu machen. Er avancierte zum Pionier des modernen Holzhausbaus.

Erster Plan verworfen

Noch während der Zugfahrt nach Berlin, so heißt es, zeichnete Wachsmann den ersten Entwurf für das Haus. Er fuhr in einer gemieteten Limousine bei den Einsteins vor und erhielt den Auftrag. Es stellte sich aber schnell heraus, dass seine Vorstellungen von einem Holzhaus nicht denen Einsteins entsprachen. Dieser wünschte sich ein gemütliches Holzhaus mit einem spitzen roten Ziegeldach, ganz in der Tradition des deutschen Fachwerk- oder Blockhausbaus. Als der junge Wachsmann seinen Plan präsentierte, der einen von der Nachkriegsmoderne inspirierten Flachbaukubus mit riesigen Fensterflächen vorsah, bezeichnete Einstein diesen als „Schuhkarton mit Schaufenstern“: er habe keinesfalls die Absicht, in einer Kunstausstellung zu leben.

Alles wurde verworfen. Aus einer langen Planungsphase ging schließlich ein einzigartiger Entwurf hervor, der auf kühne Weise die ­traditionellen Vorstellungen Einsteins und die modernistische Vision Wachsmanns miteinander verband. Das Gebäude wurde optisch in zwei Hälften geteilt: Der linke Teil entspricht dem Typus eines klassischen Holzhauses mit spitzem Ziegeldach und großem Schornstein. Die rechte Hälfte hingegen spiegelt die Vorstellungen Wachsmanns wider: ein flacher Kubus mit großzügiger Fensterfront, dessen Dachfläche als Terrasse dient.

Auch die Konstruktionsweise des Hauses ist ein Kompromiss aus Tradition und Innovation. Die „ortsfeste Fachwerkbauweise“ ist eine industrialisierte Weiterentwicklung traditioneller Holzkonstruktion, die mit maschinell vorgefertigten Balken und Platten arbeitet. Wachsmann war einer der Ersten, der diese nach ­amerikanischem Vorbild in Deutschland ­etablierte.

Nachdem im Frühling 1929 das Fundament gelegt war, setzte man die bereits gefertigten Holzteile binnen zwei Wochen zu einem fertigen Haus zusammen. So konnte das Ehepaar Einstein drei Monate nach Unterzeichnung des Vertrags in sein Sommerdomizil einziehen. Hier empfingen sie zahlreiche Gäste wie Heinrich Mann und Käthe Kollwitz. Von seinem Sommerhaus aus korrespondierte Einstein mit Mahatma Gandhi und Sigmund Freud und holte so die Welt nach Caputh. Sein kleines Paradies verließ Einstein von April bis November nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. In einem Brief von 1931 an seinen Sohn Eduard dichtet Einstein: „Sei ein gutes faules Tier, Streck alle Viere weit von Dir. Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt, Und auf Papa, wenn Dirs gefällt.“

Auch Konrad Wachsmann war zur Emigration nach Amerika gezwungen

Doch bereits Ende 1932 mussten die Einsteins ihr neues Heim für immer verlassen. Das Haus wurde nach Bemühungen des Ehepaars an ein jüdisches Kinderheim vermietet, bis es 1935 von der Gestapo konfisziert wurde. Auch ihr Architekt, der jüdische Konrad Wachsmann, war zur Emigration nach Amerika gezwungen. Im Geburtsland des industriellen Holzhausbaus tüftelte Wachsmann später zusammen mit Walter Gropius an einer noch kühneren Holzhauskonstruktion: dem „Packaged House System“. Das Fertigbausystem war für die Millionen Menschen entwickelt, die unter einer durch den Zweiten Weltkrieg ausgelösten wirtschaftlichen Depression leiden würden. Denn noch nie war ein eigenes Heim so schnell und günstig zu haben: Innerhalb von neun Stunden konnten fünf ungelernte Arbeiter solch ein Haus aufbauen. Wachsmann wurde durch dieses technologisch herausragende System internatio­nal bekannt, seine Firma ging mangels Aufträgen dennoch pleite. Denn anders als nach dem Ersten Weltkrieg blieb in den USA eine erneute Rezession samt Wohnungsnot in den 1940er und 50er Jahren aus.

Sein bekanntestes Haus ist bis heute das rote Einsteinhaus. Bis Ende des Zweiten Weltkrieges wurde es unter anderem von nationalsozialistischen Jugendgruppen und als Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen genutzt. In den letzten beiden Kriegsjahren waren 44 Personen gleichzeitig mit ihrem offiziellen Wohnsitz unter der Adresse des Einsteinhauses gemeldet – vermutlich Zwangsarbeiter, die in einem Lager in der Nähe interniert waren.

In der jungen DDR arbeitete man an Renovierungsplänen für das Haus, in der Hoffnung, Einstein würde in den sozialistischen Staat zurückkehren – doch umsonst. Stattdessen wurde es an eine Familie in Caputh vermietet.

Schon im Jahr 1953 versuchte der damalige Bürgermeister Capuths, die Akademie der Wissenschaften davon zu überzeugen, das Haus Einsteins unter Denkmalschutz zu stellen und renovieren zu lassen. Dieser Prozess zog sich über Jahrzehnte hin – auch weil bekannt wurde, dass der Bürgermeister kurzerhand selbst eingezogen war.

Trotz der bewegten Geschichte hat sich an dem roten Holzhaus seither nicht viel verändert. Noch immer blickt es von der Waldböschung auf den See. Nur die originale Inneneinrichtung, darunter viele Bauhausmöbel, ging bis zur Beendigung der Renovierung im Jahr 1979 verloren. Das unter Denkmalschutz gestellte Einsteinhaus kann an Wochenenden besichtigt werden.

Einsteinhaus, Caputh, Am Waldrand 15–17, April bis Oktober, Sa., So. und an Feier­tagen 10–18 Uhr, Besich­tigung nur mit Führung

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