Deutscher Kultfilmer: Filme jenseits der Gürtellinie

Der Regisseur Lothar Lambert galt in den 70ern als deutscher Andy Warhol. Auch seine Filme handeln von Außenseitern, sind aber kritischer.

Filmstill aus „Oben rum, unten rum – Lamberts gesammelte Einakter“ (2019) Foto: Promo

Schwups, so geht die Zeit dahin. Eben war noch 1984 und ich hatte in Kiel eine Lothar-Lambert-Werkschau gesehen, plötzlich ist 2019 und der Westberliner Filmemacher und Maler wird 75, am 24. 7., was streng genommen auch schon wieder vorbei ist.

Als ich in Kiel während meiner Zivildienstzeit zum ersten Mal seine Filme gesehen hatte, war ich begeistert, und da ich gehört hatte, dass Lambert die Berliner Antwort auf Andy Warhol wäre, hatte ich mir später ein paar Warhol-Filme angeschaut, die auch toll, aber nicht so interessant waren wie die von Lothar Lambert mit ihren kleinen, großen, beschädigten, rede- und teilweise auch zeigefreudigen Laiendarstellern aus der Lambert-Familie, auf die das blöde Wort „Selbstermächtigung“ nicht passt; mächtig sind sie ja eher nicht und den Zuschauern dadurch vielleicht auch näher.

Seit Anfang der 1970er Jahre macht Lambert Low-Budget-Filme mit Außenseiterhelden, Homosexuellen, Transvestiten, psychisch Angeknacksten, Ausländern und sich selbst in unterschiedlichen Varianten. Drehbücher gibt es eher nicht; die Darsteller – meistens sind es Laien – spielen sich meist selbst.

Vor allem in den 1970er und frühen 1980er Jahren galt er als Underground-Star, wurde in einem Atemzug mit anderen deutschen Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Herbert Achternbusch oder Rosa von Praunheim genannt. Filme wie „1 Berlin-Harlem“ (1974), „Tiergarten“ (1979) und „Fucking City“ (1981) begründeten seinen Ruhm.

Der Schwarz-Weiß-Film „Fucking City“ (1981) ist sein vielleicht düsterstes Werk. Es geht um ein trauriges Ehepaar. Der Mann interessiert sich nur noch für seine Frau, wenn sie mit anderen Männern als Pornodarstellerin für ihn posiert. Ihr schwuler Kollege ist auf der rastlosen Suche nach immer neuen Sexpartnern. Dann kommt auch noch dessen naiv gezeichnete Schwester zu Besuch. Das Ende ist schrecklich.

„Fucking City located at the intersection of ‚Taxi zum Klo‘ und ‚Angst essen Seele auf‘. But it’s funnier, sadder, more critical and more compassionate than either of them“, schrieb einst der berühmte US-Filmkritiker J. Hoberman.

Landschaft interessanter als Züge

Lothar Lamberts einziger Versuch, mit dem ausnahmsweise höher budgetierten Film „Paso Doble“ von 1983 (Anm. d. Red. 300.000 D-Mark), auch kommerziell, also „am Ku’damm“, erfolgreich zu sein, scheiterte, leider oder zum Glück. Das Berliner Kino in der Brotfabrik würdigt den Jubilar noch bis zum 7. August mit Filmen von, mit und über Lambert.

Seit Anfang der 1970er macht Lambert Low-Budget-Filme mit Außenseitern, Homosexuellen, psychisch Angeknacksten

Gezeigt werden eher selten gespielte Werke. „Dirty Daughters – die Hure und der Hurensohn“ (1981), in dem Dagmar Beiersdorf, die langjährige Mitstreiterin von Lothar Lambert, die traurig-komische Liebesgeschichte zwischen einer Berliner Prostituierten und einem libanesischen Asylbewerber erzählt.

Die ebenfalls von Dagmar Beiersdorf erstellte Dokumentation „Kuck mal, wer da filmt! – Meine Freundschaft mit Lothar Lambert“ (1999), Lamberts einstündiges Doppelporträt „Bekenntnisse zweier Underground-Herrinnen“ (1996), das von seinen langjährigen Darstellerinnen Renate Soleymany und Nilgün Taifun handelt sowie sein jüngster Film „Verdammt noch mal Berlin – Fucking City Revisited“ 2017), in dem der Jubilar noch einmal jene Westberliner Orte aufsucht, die in seinen Filmen wichtig waren.

Die Eingangsszene von „Fucking City Revisited“ ist großartig. Begleitet von pathetischer Musik, wie ein Superstar bei seinem Comeback, ist der Filmemacher, der mittlerweile am Stock geht, zu sehen. Er erklimmt die Aussichtsplattform des Westberliner Funkturms und erzählt als Stimme aus dem Off: „Höhenangst rangiert auf der Liste meiner Ängste ziemlich weit vorne. Extrem darf es möglichst in meinen Filmen zugehen, nicht im Leben.“

Er erzählt von der Kindheit in Lichterfelde; man sieht den keinen Lothar, dann ein Foto seiner Eltern: „Das Brautpaar glücklich einer mit Doppelselbstmord endenden Zukunft entgegenblickend. Und Klein-Lothi, die männliche Shirley Temple von Lichterfelde, noch allzu gern im Mittelpunkt stehend.“

Vor einem Jahr hatte es geheißen, „Fucking City Revisited“ wäre Lamberts letzter Film. Nun heißt es das über den Film „Oben rum, unten rum – Lamberts gesammelte Einakter“ (2019), eine kongeniale Kompilation bislang nicht gezeigter Dokumentar- und Spielfilm­szenen, die der langjährige Mitarbeiter des Regisseurs, Albert Kittler, „beim Herumstöbern“ entdeckt hatte.

Hilka Neuhof erzählt aus ihrem Leben und wird dabei von Lambert immer wieder erfolglos bedrängt, sich auszuziehen. Eine Bilderversteigerung im Café Berio, autobiografische Szenen aus Lamberts Leben: der geliebte Pudel, der geliebte Schlagersänger, die Märklin-Eisenbahn des kleinen Jungen, der sich vor allem für die Landschaft interessierte, während der Vater die Züge favorisierte. Die Eisenbahngeschichte sei FilmhistorikerInnen als Schlüssel zu Lamberts Werk empfohlen. Herzlichen Glückwunsch, lieber Lothar.

Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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