Camp-Thriller „Messer im Herz“: Homoerotisches Genrekarussell

Der Film „Messer im Herz“ ist eine popkulturelle Schatztruhe. Zwischen Giallo, Camp-Film und Thriller entsteht entgeistertes Kino.

Eine Frau im Kunststoff-Trenchcoat steht in einer alten Telefonzelle.

Vanessa Paradis spielt ihre Figur Anne mit ehrlicher Verletzlichkeit Foto: Edition Salzgeber

Das Einzige, was die Lust begrenzt, ist der Tod. So radikal beendet „Messer im Herz“ sich selbst. Yann Gonzalez’ Film ist zugleich Ode und Abgesang auf das Ende der 1970er Jahre, eine Dekade, in der alles möglich schien und die in der Paranoia endete. Mittendrin: die Kostbarkeit des Kinos als befreiende Kraft, als letzter Akt gegen die neuerliche Herrschaft des Normativen.

Paris 1979, eine Stadt ohne sichtbare Heterosexualität. Die Regisseurin Anne (Vanessa Paradis) feiert Erfolge mit exzentrischen Schwulenpornos. Für sie ist es ein knallhartes Business, fast ein Job wie jeder andere. Beherrscht wird sie vom Alkohol und ihrer verlorenen Liebe zur Cutterin Loïs (Kate Moran), an der sie klammert wie ein kleines Kind. Als in kurzer Zeit mehrere ihrer Darsteller von einem Mörder mit klingenbesetzem Dildo hingerichtet werden, versucht Anne, den Ereignissen einen Sinn zu geben, auch um ihren mentalen Film zusammenzuhalten.

Das klingt absolut trashy, doch Gonzalez erschafft aus den hintersten Seiten des Kinokanons eine absolut glaubhafte und schöne Welt. Der Pornodreh ist dabei nur eine extreme, veranschaulichte Form. Letztlich geht es in „Messer im Herz“ um die reine Möglichkeit des Andersseins, dieser Kraft, durch die das Kino seine schönste Form annimmt.

González experimentiert mit dieser Queerness, spielt ihre Grenzen gegen jeden Naturalismus aus. So wie auch in seinem ersten Spielfilm „Les rencontres d’après minuit“, in dem Fußballstar Eric Cantona als hyperpotenter Sexgott einer 90-minütigen nächtlichen Orgie beiwohnen durfte. „Messer im Herz“ ergötzt sich dagegen in seiner Liebe zum subkulterellen Zitat. Genres werden vermengt und mit einer Camp-Ästhetik übergossen, sodass die Künstlichkeit am Ende zur natürlichsten Sache der Welt wird.

Dass nebenbei noch ein Giallo-Thriller seinen Lauf nimmt, verstärkt die Entgeisterung, mit der sich am besten auf „Messer im Herz“ reagieren lässt. Am Ende fühlt es sich an, als sei man durch eine lange, dunkle Rutsche von den 70ern direkt in die 80er Jahre gelangt. Wenn Anne ihre Ex-Freundin Loïs durch die Pariser Clubs verfolgt, scheint es, als sei die Essenz des Exzesses ganz zufällig vor die Kamera gelangt.

Mut zum Unperfekten

Großen Anteil an dieser popkulturellen Schatztruhe hat auch der abwechslungsreiche Soundtrack von M83, der bekannten Band von Yann González’ Bruder Anthony. Gerade in den Giallo-Passagen bekommt der Film dadurch eine ätherische Qualität, die an Dario Argentos beste Momente erinnert. Jedes Quäntchen Exploitation sitzt in „Messer im Herz“ an der richtigen Stelle, mit einem Mut zum Unperfekten, der im Kino heute oft fehlt.

Daher fühlt sich das Zusehen auch so befreiend an. Denn trotz aller Referenzen und Plattitüden entsteht etwas Eigenes, Unverfälschtes. Das gilt auch für Vanessa Paradis, die ihre Rolle vor allem mit ehrlicher Verletzlichkeit füllt.

„Messer im Herz“. Regie: Yann Gonzalez. Mit Vanessa Paradis, Kate Moran u. a. Frankreich 2018, 102 Min.

Und überhaupt: So surrealistisch und fantasievoll wie dieses Jahr war das französische Kino schon lange nicht mehr. Schon der queere Abenteuerfilm „Les garçons sauvages“ über eine Jungsbande, die eigentlich von Frauen gespielt wird, bot einen absolut wilden Filmkosmos.

Wenig überraschend, dass Regisseur Bertrand Mandico auch in „Messer im Herz“ als Annes Kameramann François zu sehen ist. Bei aller Überspanntheit finden diese Filme zu dem zurück, was zwischen Form und Inhalt zu oft versandet: der Emotion.

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