Protest gegen die Diktatur-Party

Beim Eritrea-Festival in Gießen feiert die Diktatur sich selbst. Nicht weit entfernt, vor den Toren des Messegeländes, stehen jene, die finden, es sei genug mit der Party für ein politisches System, das eine ganze Generation in die Flucht treibt

Ohne Freiheit kein Leben – eine Teilnehmerin der Gegenveranstaltung kritisiert das staatlich gelenkte Eritrea-Festival Foto: Joachim Schaefer/hessencam

Aus Gießen Marina Mai

Der Mann, der vor den Messehallen in Gießen gerade aus seinem Auto steigt, ist festlich gekleidet: Schlips, Anzug aus Seide. Jedes Jahr komme er hierher zum Eritrea-Festival, sagt der Mittsechziger aus Düsseldorf der taz. „Es ist ein Fest. Wir treffen Freunde und Bekannte aus anderen Städten. Wir alle lieben unser Land.“

Das Land, das er liebt, Eritrea, hat er vor mehr als 30 Jahren verlassen. Damals kämpften Eritreer für die nationale Unabhängigkeit von Äthiopien. Dass aus der nationalen Befreiungsbewegung eine Diktatur hervorgegangen ist, eine der übelsten weltweit, davon will er nichts wissen. „Eritrea ist ein Staat ohne Kriminalität, ohne Diebe.“

Eritrea ist ein Land, aus dem Menschen in Scharen fliehen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen fliehen Monat für Monat zwischen 2.000 und 3.000 Menschen aus dem nur fünf Millionen Einwohner zählenden Land. Ein großer Teil der Geflüchteten im Mittelmeer stammt aus dem kleinen Land am Horn von Afrika. Amnesty International spricht von einer „entsetzlichen Menschenrechtssituation“, von willkürlichen Inhaftierungen und außergerichtlichen Tötungen. Das alles sehen Besucher des Eritrea-Festivals in Gießen anders. Die Flucht gebe es, weil Europäer und Amerikaner Unruhe stifteten, sagt der Mann aus Düsseldorf, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Das Eritrea-Festival gibt es seit 2011 in Gießen, der Ticketpreis beträgt 30 Euro. Anfangs wurde es von der eritreischen Botschaft abgehalten, inzwischen ist die nach Angaben des Mitveranstalters Cahsai Tewelde aus Frankfurt/Main nur noch Schirmherrin. Die Diktatur fliegt hohe Generäle und Musikgruppen ein, es gibt politische Diskussionen und Kinderprogramme. „Die hier geborenen Jugendlichen sollen die eritreische Kultur kennenlernen“, sagt Tewelde der taz.

Daran hat der eritreische Staat großes Interesse. Im Ausland lebende Landsleute gehören zu den wichtigsten Investoren der mit internationalen Embargos überzogenen Diktatur. Selbstverständlich investieren nicht die Geflüchteten, die in den letzten Jahren der Diktatur den Rücken gekehrt haben. Aber die vor dreißig Jahren geflohenen Eritreer, die mit dem Staat sympathisieren, sind in die Jahre gekommen. Eritrea wirbt um deren Kinder. Die Teilnehmerzahl des Festivals nimmt von Jahr zu Jahr ab. Wurden in den ersten Jahren 5.000 Gäste gezählt, waren es dieses Jahr nach Veranstalterangaben 2.000, nach Schätzungen der taz 1.500.

Seit 2011 läuft in Gießen eine Debatte, wie man damit umgeht, dass sich eine Diktatur in der Stadt feiert. Im ersten Jahr hatte eine offizielle Stadtvertreterin das Eritrea-Festival besucht. 2012 erklärte hingegen die Stadtverordnetenversammlung die Veranstaltung für unerwünscht. Seitdem nimmt der Magistrat keine Einladungen mehr an. Verhindern kann Gießen das Eritrea-Festival nicht, die Räume sind Privatgelände.

Doch auch die Stadtverordneten sind gespalten. Die Grünen unterstützen seit Jahren die Gegenveranstaltung der eritreischen Geflüchteten vor dem Festivalgelände. Die Linke-Fraktion hingegen schickt offizielle Vertreter zur Jubelveranstaltung des eritreischen Staates. In Statements haben Stadtverordnete der Linken in den letzten Jahren den Staat Eritrea verteidigt – anders übrigens als die Linke-Bundestagsfraktion, die die dortige Menschenrechtssituation scharf kritisiert. Eine Presseanfrage der taz ließ die Fraktion der Gießener Linken unbeantwortet.

„Warum haben Sie die Fraktion gefragt, warum nicht mich?“, sagt Michael Beltz die taz-Reporterin. „Ich hätte geantwortet.“ Beltz ist DKP-Mitglied und sitzt im Stadtparlament in der gemeinsamen Fraktion von Linken und DKP. Der Kommunalpolitiker nimmt als Ehrengast am Eritrea-Festival teil. „Eritrea ist ein armes Land“, sagt er. „Aber es gibt kostenlose Gesundheitsfürsorge und kostenlose Bildung.“ Das klingt für ihn nach einem sozialistischen Paradies. „Das haben wir nicht einmal in Deutschland.“ Dass die kostenlose Bildung oft nur bis zur 5. Klasse geht, dass sie Prügelstrafen und Inhaftierungen von Schülern in unterirdischen Verliesen einschließt, wenn diese beim Fahnenappell nicht aufrecht genug stehen, davon will Beltz nichts wissen. „Kritisch sehe ich als einstiger Wehrdienstverweigerer allerdings die lange Militärdienstzeit in Eritrea“, sagt Beltz der taz. Offiziell beträgt sie 18 Monate, real kann sie für Männer lebenslang dauern.

„Down, down, Diktatur“ hallt es von der Gegenveranstaltung zum Festivalgelände hinüber. Hier haben sich etwa 200 eritreische Flüchtlinge versammelt. Sie kommen nicht aus dem ganzen Bundesgebiet wie die Festivalbesucher, sondern nur aus Gießen. Sie haben keine Autos wie die Festivalbesucher, sondern sind zu Fuß gekommen. Sie tragen keine seidenen Anzüge, sondern Billigkleidung vom Discounter. Unter den Eritreern in Deutschland stellen die neuen Flüchtlinge längst die Mehrheit dar, aber sie sind schlecht organisiert, nicht über die kommunale Ebene hinaus mobilisierungsfähig. „Ich habe in einem libyschen Gefängnis gelitten, bin im Mittelmeer fast ertrunken, aber ich hatte keine andere Wahl, als zu fliehen“, sagt ein 27-jähriger Eritreer der taz, der seit vier Jahren in Gießen lebt. „In Eritrea gibt es keine Freiheit, nur den Zwangsdienst beim Militär und im Nationalen Dienst für die Diktatur. Ohne Freiheit kein Leben.“

Die Demonstranten haben Transparente mitgebracht:. „Tanzt für die Freiheit anstatt für die Diktatur!“ Gooy Hiflu, eine Rednerin, berichtet von den eritreischen Jugendlichen, die auf der Flucht sterben, und von Müttern in Eritrea, die um sie weinen. „Letztes Jahr habe ich noch auf der anderen Seite gestanden“, sagt sie und zeigt mit dem Arm zum Festival. Aber dann seien Neffen von ihr auf der Flucht umgekommen. „Es ist genug!“

Davon wollen die Diskutanten auf dem Festivalgelände nichts wissen. Die Deutsch-Eritreische Gesellschaft hat zu einem Podium geladen, laut Ankündigung durfte auch Presse daran teilnehmen. In der Praxis sah das anders aus. Während die taz und zwei regionale Zeitungen hineindurften, blieb zwei freien Videojournalisten trotz Anmeldung der Eintritt verwehrt. Die Podiumsgäste malten ein sehr eigenes Bild von Eritrea. Ein Schweizer Entwicklungshelfer sprach von einer großen Hoffnung der jungen Generation, die er im Land erleben würde. Ein Deutscher mit eritreischen Wurzeln machte zwei Schuldige an der eritreischen Misere aus: die westlichen Medien, die das Land als „Nordkorea Afrikas“ dämonisierten. Und die internationalen Investoren, die deshalb keine Arbeitsplätze in Eritrea schaffen würden. „Die Medien schreiben, in Eritrea gibt es keine Pressefreiheit. Aber warum sollen sich Investoren dafür interessieren, ob die Leute Zeitung lesen? In Europa liest doch auch niemand mehr Zeitungen,“ wetterte er. Jubel gab es, als er begründete, warum Eritrea nicht einfach zwangsrekrutierte Soldaten in die Freiheit entlassen könne. „Wenn die Armee 300.000 Leute entlässt, dann werden die Banditen. Die haben doch nur Schießen gelernt.“ Widerspruch gab es nicht. Die Diktaturanhänger waren unter sich.