Angst auf dem Kirchentag: Fürchtet euch manchmal

Tod, Trauer, Gauck: Die „Podienreihe Angst“ geht ungehemmt an die großen Themen. Bei so viel Vertrauen auf dem Kirchentag ist das kein Wunder.

Eine Diakonistin und ihre Freundin schützen sich mit einem Schirm vor der Sonne

Auf dem Kirchentag hat man gute Laune – auch beim Thema Angst? Foto: dpa

Verlieben, verloren, vergessen – Vertrauen. Ebendas hat selbst beim Kirchentag Grenzen. Zwei Euro Pfand für eine „Snack-Schale“ aus Plastik? Eher ein Misstrauensbeweis. Und so ist auch die Angst hier nicht weit, wird vielmehr (aus Angst vor Verdrängung) großräumig integriert: mit einer eigenen Veranstaltungsreihe.

„Was für eine Angst“ heißt das erste Panel, das Beatrice von Weizsäcker (Tochter des Wehrmachthauptmanns Richard) mit einem „Wutgebet“ („Ich bin hingeschüttet wie Wasser“) beginnt. Angst maskiere sich, sei wenig greifbar, erklärt der Psychiater Peter Zimmermann danach in einem Vortrag. Zum Glück lasse sie sich behandeln; dafür sei aber auch ein stabiles Umfeld entscheidend. Was, wenn das fehlt? Keine Antwort.

Darauf folgt der ganz harte Tobak, Thorsten Hillmann vom Deutschen ­Kinderhospizverein („Lebenssättigung vorantreiben“, „langsames Sterben“). Es gebe keine Antwort auf den Tod, aber man müsse die Familien begleiten. Die Zuhörer vergießen erste Tränen. Für Feuerwehrpastorin Erneli Martens ist „Gott schon da“, selbst im Leid, selbst im Tod, siehe Jesus; was sie aber vor Ort nicht so sage, weil das zynisch klingen könne, aber als „Haltung“ in sich trage.

„Der Tod offenbart Reichtum“, etwa Liebe und Vertrauen. Palliativtheologe Traugott Roser stört als Einziger die Eintracht: „Es gibt auch Scheißfamilien“ und „Ich bin noch nicht gestorben“. Realpolitisch: Um die innerkirchliche Finanzierung von Seelsorge müsse man „fürchten“, und Kirche solle „Schutzräume“ für Missbrauchte bieten.

Angst hat auch das BKA um Joachim Gauck, weswegen die Wache Journalisten in den vollen Saal zur zweiten Diskussion, „German Angst“ am liebsten gar nicht einlassen würde. Manche Angst, glaubt Gauck, sei „rational“, andere nicht. Und wer ist er, über diese Rationalität zu richten? „Populisten“, „dunkle“ deutsche Geschichtskapitel und den „Kommunismus“ jedenfalls findet er schlimm, „Erinnerungskultur“, „Freiheit“, sich selbst und demonstrierende DDR-Bürger toll, will eine „gute Geschichte der Demokratie“ schreiben und fordert, „Herr über die Angst“ zu werden.

Warum nicht Wut?

Dazu brauche es „Mut“, was sonst. Die Historikerin Ute Frevert, der er schon das Bundesverdienstkreuz verlieh, wirft die Frage auf, ob Religion selbst nicht als „Angstmaschine“ funktioniere, will dann aber doch lieber nicht darüber reden.

Hat sie Angst? Die findet sie insgesamt tatsächlich eher gut: Lange habe es in Deutschland ein Angsttabu gegeben, das zu Idealen von „Tapferkeit und Ehre“ auf dem Schlachtfeld geführt habe. Auch erkennt sie eine Kontinuität vom Nationalsozialismus bis zur frühen BRD und situiert das Plädoyer für „Mut“ als individuellen Akt in der postmodernen Ratgeberliteratur der neoliberalen Selbst­optimierung.

Gauck lobt sich für seine „Neugier“ auf Döner und sein Okayfinden von schwulen Pärchen auf der Straße. Die unvermeidliche Thea Dorn tritt hinzu, empfiehlt als Geheimtipp, Kafka zu lesen, und wirbt für einen „reflektierten Patriotismus“. Als Erste im Gespräch weist Soziologin Naika Foroutan darauf hin, dass „Angst“ nicht leer im Raum schwebe, sondern etwa auf Armut und Diskriminierung beruhe. Der Coach und Psychologe Louis Lewitan will Angst „produktiv steuern“, und auch Gauck schöpft aus seinem Glauben „Kraftzuflüsse“.

Sprechen, obwohl man nicht sprechen kann: das Rezept scheint allmächtig. „Angst“ soll dabei in einer geschlossenen Sinnökonomie durch die pure Kraft des Glaubens, der Nähe, des Gesprächs, akzeptiert, überwunden oder in „Mut“ verwandelt werden. Warum nicht Wut?

Kirchentage unter evangelischen ChristInnen heißt: Ernst zu nehmen, was dort verhandelt, erörtert, begrübelt und was direkt zur Sprache gebracht wird.

In Dortmund stehen Themen wie Migration, Feminismus, Klima und Umwelt im Mittelpunkt. Typische taz-Themen also.

Deshalb begleiten wir den Kirchentag auch: vor Ort und mit vier täglichen Sonderseiten in der Zeitung. Die taz Panter Stiftung hat dafür 9 junge JournalistInnen ins Ruhrgebiet geschickt.

Der einzige Moment der Sprachlosigkeit ereignet sich am Abend, in der dritten Runde namens „Leben ohne Angst?!“. Ein anonymer Zuschauerbeitrag berichtet von Missbrauch im Kindesalter, von Jahrzehnten voll Angst und Verzweiflung. Niemand weiß eine Antwort. Theologen ratlos.

„Eine Umarmung“ tue vielleicht gut bei einer Panikattacke, beantwortet fünf Minuten später der frühere Sänger von Jupiter Jones eine andere Frage; aber auch nur vielleicht.

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