: Vergessene Frauen der Filmgeschichte
Zwischen existenzieller Not und rauschendem Glamour: „Kino der Moderne“ in der Kinemathek
Von Michael Meyns
Chaplin mochten sie alle: Benjamin lobt ihn, Brecht notiert in seinem Tagebuch von 1921 einen Kinobesuch, Freud schreibt in einem Brief „[Chaplin] ist unzweifelhaft ein großer Künstler, gewiss, er spielt immer nur eine dieselbe Figur, den schwächlichen, armen, ungeschickten Jungen, dem es am Ende aber gut ausgeht.“
Das Kino bestimmte die Diskussionen in Berlin, in Deutschland, in der Weimarer Republik; das merkt man schnell, betrachtet man die zahllosen Stücke in der Ausstellung „Kino der Moderne – Film in der Weimarer Republik“, die im Filmmuseum am Potsdamer Platz zu sehen ist. Die erste Station war noch die Bundeskunsthalle in Bonn gewesen, in Kooperation der beiden Häuser entstand die Mammutschau, in der es zwar – selbstverständlich – um das Kino geht, noch mehr aber über das Leben in der Weimarer Republik.
Gut 5.000 Kinos gab es 1930, zwei Millionen Eintrittskarten wurden verkauft – täglich! Film war das Medium der Moderne, über das Intellektuelle wie Walter Benjamin, Béla Balázs und Siegfried Kracauer kluge Texte schrieben, es inspirierte Bauhaus-Künstler wie László Moholy-Nagy zu experimentellen Arbeiten, vor allem aber spiegelte es gesellschaftliche Entwicklungen.
Weniger um die bekannten, dauerpräsenten Großfilme der Weimarer Republik – von Langs „Metropolis“ über Wienes „Das Kabinett des Dr. Caligari“ bis zu Murnaus „Nosferatu“ – geht es daher in der von Kristina Jaspers kuratierten Ausstellung, sondern um unbekanntere, aber nicht weniger interessante Filme. An einzelnen Sichtungsstationen kann man da Ausschnitte aus sich neu entwickelnden Genres entdecken: Psychoanalytische Filme wie „Nerven“ oder „Die Freudlose Gasse“ etwa, in denen die zunehmende Hektik der Großstädte gezeigt wurde; Berg- und Naturfilme wie „Das Blaue Licht“ oder „Das Wunder des Schneeschuhs“, in denen mit spektakulären Aufnahmen die Natur überhöht wurde; oder sexuell erstaunlich progressive Filme wie „Ich möchte kein Mann sein“ oder „Anders als die Andern.“
Ohnehin steht die Rolle der Frau deutlich im Mittelpunkt der Ausstellung, ganz zeitgemäß also, aber doch auch mit gutem Grund. Vor allem mag man hier an Marlene Dietrich denken, vielleicht der größte deutsche Star der Filmgeschichte, die in vielen ihrer in der Weimarer Republik entstandenen Filmen bewusst mit ihrer Sexualität spielte, oft in Hosenanzügen auftrat, das fast schon zum Klischee verkommene verrufene der Zeit prägte.
Wie schwer es Frauen hatten, in der von Männern geprägten Filmindustrie Fuß zu fassen, zeigt eine Galerie mit Tafeln zahlreicher Autorinnen oder Szenenbildnerinnen, aber auch Produzentinnen und Kinobetreiberinnen. Ein paar bekannte Namen wie Thea von Harbou finden sich hier, vor allem aber Frauen, die oft im Schatten der Männer, manchmal auch ihres Ehemannes standen: Marlene Moeschke-Poelzig etwa, verheiratet mit Hans. Der baute in Berlin nicht nur die Gebäude um das Kino Babylon oder das Haus des Rundfunks, sondern auch die legendären, expressionistischen Sets von „Der Golem, wie er in die Welt kam“. Dass dabei seine Frau Marlene eifrig mitwirkte wird in der Literatur jedoch meist vernachlässigt.
Vergessen ist auch die Produzentin Liddy Hegewald, die nach dem Tod ihres Mannes das gemeinsame Kinogeschäft übernahm und Mitte der 10er Jahre in Leipzig eine Produktionsfirma gründete. Den Blick auf diese vergessenen Frauen der deutschen Filmgeschichte zu lenken, ist sicher das größte Verdienst der Ausstellung.
Die jedoch nicht zuletzt auch eine wunderbare Devotionalien-Schau ist: originale, handgeschriebene Briefe, Ausschnitte aus dem Tagebuch der 19-jährigen Marlene Dietrich, Boxhandschuhe von Max Schmeling, die der Starboxer im Film „Liebe im Ring“ trug, eine auf der Spitze eines Skis angebrachte Kleinkamera, mit der rasante Aufnahmen gedreht wurden. Doch auch die weniger glamourösen Momente der Weimarer Republik kommen nicht zu kurz, Zeichnungen von Heinrich Zille, die Vorlage für sozialrealistische Filme wie Gerhard Lamprechts „Die Verrufenen“ waren oder ein Foto aus dem Hungerwinter 1923, als das Geld so knapp war, dass ein Kino als Eintrittspreis: „Zwei Presskohlen“ akzeptierte.
Existenzielle Not und rauschender Glamour – zwischen diesen Extremen bewegte sich das Kino der Weimarer Republik, das zwar nicht vergessen ist, aber nie genug Aufmerksamkeit bekommen kann. Denn wenn man die Originale schaut, dann kann man auch auf einen modernen TV-Abklatsch wie „Babylon Berlin“ getrost verzichten, denn an den Exzess, die Extreme und künstlerische Vielfältigkeit des Vorbilds kommt man nicht so leicht ran.
Bis 13. Oktober, Deutsche Kinemathek, Potsdamer Straße 2, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr
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