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Wohnen statt Logieren

Die Lübecker Gang-Häuser sind bei Urlaubern beliebt. Nun soll eine neue Milieusatzung die Vermietung an Touristen verbieten. Die Gentrifizierung wird sie nicht verhindern

Idyllischer Ort zum Wohnen – oder Urlaub machen: Der Haasen-Hof in der Lübecker Altstadt Foto: Timm/Wikimedia Commons

Von Friederike Grabitz

Vogelgesang statt Straßenlärm, mitten im Zentrum. Vor der Tür sitzen Nachbarn zwischen den Stockrosen und laden zum Grillen ein. Das Haus gegenüber ist nur zwei Schritte entfernt, da ist es nicht schlecht, wenn man sich versteht.

Lübeck hat 91 Gänge oder Höfe, sie sind eine Spezialität der Stadt. Nirgends gibt es so viele der kleinen, idyllischen Gassen mit den dicht an dicht gebauten Giebelhäuschen, die über zwei oder drei Etagen nur 30 bis 70 Quadratmeter klein sind. Ein Wohntraum. Oder ein Urlaubstraum, je nach Perspektive.

Seit mindestens einem Jahr tobt in der Hansestadt ein Kampf darum, ob die Ganghäuser als Ferienwohnungen vermietet werden dürfen. Damit lässt sich dreimal so viel verdienen wie mit regulärer Vermietung, und die Nachfrage ist hoch. 125 von insgesamt 300 Ferienwohnungen in der Altstadt liegen in Gängen und Höfen. Eine neue „Milieusatzung“, über die die Bürgerschaft noch diesen Monat abstimmt, soll daraus regulären Wohnraum machen. Der parteilosen Bausenatorin Joanna Hagen geht es darum, „das Wohnen zu schützen“. Ihr Mitarbeiter Karl-Heinz Bresch ergänzt: „Der Charakter der Altstadt soll als Wohnraum erhalten werden.“

Gefährden die Touristen den Charakter der Altstadt? Es kommt darauf an, wen man fragt. Es gibt einen Gang auf der Westseite der Altstadt, wo nur zwei Häuser von Lübeckern bewohnt sind. Gut möglich, dass die sich im Vorbeirollen der Koffer wie Exponate in einem Freilichtmuseum fühlen.

An sie dürften die Grünen gedacht haben, als sie im August 2018 ihr Konzept vorstellten, Ferienwohnungen aus den Gängen zu verbannen. „Aus den 300 Ferienhäusern sollen nicht 1.000 werden“, sagt der Fraktionsvorsitzende Bruno Hönel. „Ich will nicht, dass meine Stadt wird wie Berlin und München, wo die Bewohner in die Randlagen gedrängt werden.“ Gerade in der Innenstadt explodieren die Wohnpreise. So hat sich der Quadratmeterpreis seit 2011 mit mehr als 3.000 Euro pro Quadratmeter im Schnitt fast verdoppelt. Dass 125 zusätzliche Mietwohnungen für Lübecker die Gentrifizierung aufhalten werden, glaubt Hönel allerdings nicht.

Das ist vermutlich die einzige Schnittmenge, die er mit Karl-Heinz Brenner hat. Der rechnet vor: „Von allen Wohnungen in der Altstadt sind nur drei Prozent Ferienwohnungen.“ Er selber besitzt vier Ganghäuser. Weil er die auch weiter an Touristen vermieten will, hat Brenner einen Verein zur Erhaltung der Ferienwohnungen gegründet und wird gegen das Verbot klagen. Einfach wird das nicht, denn die Ferienvermietungen sind jetzt schon allesamt illegal. Weil die Gänge als Wohngebiete gelten, hat die Stadt für die gewerbliche Vermietung keine Genehmigungen vergeben.

Die Lübecker Gänge

Die 91 Gänge, Torwege und Höfe in der Lübecker Altstadt sind ein Überrest aus dem mittelalterlichen Städtebau.

Im Norden der Altstadt an den Straßen Engelswisch, Engelsgrube und Glockengießerstraße sowie im Süden rund um den Lübecker Dom sind sie besonders dicht.

Brenner bringt noch ein anderes Thema ins Spiel: Die Gäste, die in seine Ferienwohnungen kommen, wollen ein paar Tage leben wie Lübecker. „Viele sind Familien, Studenten oder Saisonarbeiter. Die brauchen eine Küche, und ein Hotelzimmer ist zu teuer und keine Option für sie.“ Ohne die Ganghäuser werden sie nicht wiederkommen – oder auf Airbnb ausweichen. Die neue Satzung würde zwar auch die Angebote aus dem Portal untersagen, wegen fehlender Landesgesetze kann die Stadt aber nicht dagegen vorgehen.

Und de facto kommen nicht weniger Touristen, sondern viel mehr: Von 2012 bis 2020 haben sich die Übernachtungen in der Stadt auf zwei Millionen verdoppelt. „Einen Rückgang der Familien beim Strandurlaub erwarten wir nicht“, sagt CDU-Tourismusminister Bernd Buchholz, denn es würden „Ferienwohnanlagen für Familien neu errichtet“.

Zum Beispiel im Lübecker Seebad Travemünde, das seit drei Jahren gespickt ist von Kränen. Die bauen dort einen industriellen Katalog-Tourismus: Urlaubsghetto statt Stockrosen und Vogelgesang. Ob das die Wohnungsnot lösen wird, ist eine andere Frage.

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