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„Wir lassen die Leute reden, reden, reden“

Erwachsene sollten noch mal ihr Englisch auffrischen, propagiert der Hamburger Verein für berufliche Weiterbildung und wirbt mit einem Selbsttest. Viele der über 40-Jährigen trauten sich nicht, die Weltsprache zu gebrauchen. Der Grund seien schlechte Schulerfahrungen

Interview Kaija Kutter

taz: Herr Behrens, Herr Schnittger, warum sollen Erwachsene noch mal Englisch lernen?

Harald Behrens: Dass man Englisch braucht, steht außer Frage.

Ja? Warum? Erklären Sie gern.

Behrens: Weil wir alle auf dem selben Planeten leben und Englisch die Weltsprache ist. Sie ist das, was früher Latein war, die Lingua franca unserer Zeit.

Aber warum müssen Erwachsene das noch mal lernen? Ist der Schulunterricht so schlecht?

Behrens: Der wird sogar besser. Aber die Ansprüche steigen. Früher reichte es, Englisch für den Urlaub zu lernen. Heute benötigt eine Vielzahl von Menschen Englisch in ihren Berufen, zum Beispiel Ingenieure.

Ihr Verein wirbt mit einem Selbsttest. Ich hab den dreimal gemacht. Täuscht es, oder hat man da nie volle Punktzahl?

Behrens: Man kann die volle Punktzahl erreichen. Ich gebe zu, es gibt ein, zwei Stellen, wo die Formulierung zu abstrakt ist und es mehrere Möglichkeiten gibt. Wir denken noch darüber nach, dies zu korrigieren.

Ludolf Schnittger: Wir haben über 50 Dozenten, die beim Test mitreden.

Zurück zum Englisch: Sind nicht die Grundlagen schon in der Schule gelegt? Heißt es nicht für Erwachsene, Hauptsache sprechen?

Behrens: Genau darum geht es in unseren Sprachkursen. Sie sollen sprechen, sprechen, sprechen. Und irgendwann wird es selbstverständlich und sie können im Urlaub in Italien auf Englisch bei Alberto einen Tisch reservieren.

Schnittger: 90 Prozent unserer Teilnehmer geben erst mal an, ihre Grammatik sei schlecht. Aber das stimmt meist nicht. Die liegen meist auf B1-Niveau. Wovor die Leute Angst haben, ist, vor Leuten Englisch zu reden.

Behrens: Im Beruf wird heute auch verlangt, auf Englisch zu telefonieren. Das macht den Leuten sogar noch mehr Angst, als vor einer Gruppe zu sprechen. Weil da die Gestik fehlt.

Woher kommt die Hemmung?

Schnittger: Der Schulunterricht ist so dermaßen schlecht. Die Lehrer sind schlecht ausgebildet, sodass die Teilnehmer Angst haben, in den Kursen zu reden.

Ich habe das „th“ nie gekonnt und mich dafür geniert.

Behrens: Uns wurde das „th“ auch nicht richtig beigebracht. Da schimpfte der Lehrer nur: Was, ihr Pfeifen könnt immer noch kein „th“?

Schnittger: Ich war selber schlecht in der Schule. Wir mussten der Reihe nach aufstehen und rückwärts eine Zahl sagen, 10, 9, 8. Und wusste man sie nicht, war man blamiert. Gute Methodik bindet Kinder spielerisch ein und lässt sie von sich aus eine Zahl nennen. Wenn es spielerisch abläuft, ist es nicht so schlimm, wenn Fehler passieren.

Warum läuft es so in der Schule?

Behrens: Die meisten Englischlehrer lernen jahrelang nur Theorie. Das sind dann Spezialisten. Aber da fehlt die pädagogische Methodik.

Schnittger: Die Lehrer für Vorschulen und Sonderschulen sind methodisch Top ausgebildet. Alle anderen Lehrer nicht.

Harald Behrens, 57, studierte Anglistik, Germanistik und Kunstgeschichte und ist Sprachlehrer beim Verein für berufliche Weiterbildung

Ihre Schulzeit ist Jahrzehnte her. Ist die Kritik noch aktuell?

Behrens: Ich denke, dass es sich gebessert hat. Aber alle, die über 40 sind, haben die Schulzeit so erlebt.

Schnittger: Wenn ich heute in eine Schule komme, wo unsere Kurse stattfinden, und es klingelt, bekomme ich einen Schreck. Das Linoleum riecht auch noch so wie damals. Das betrifft 50 Prozent.

Was für Leute kommen in ihre Kurse? Wie alt sind die?

Behrens: Ab 35 Jahre bis 80. Wir haben Seniorengruppen, die laufen seit 15 Jahren.

Wie lernen die Leute in Ihren Kursen?

Behrens: Wir sagen, habt ruhig den Mut zum Fehler. Fehler sind ein notwendiger Bestandteil des Lernens. Wir erlauben, beim Sprechen Fehler zu machen. Wir geben Feedback meistens im Nachhinein. Wir lassen die Leute reden, reden, reden. Es ist schlimmer, wenn sie nichts lernen, als wenn sie zeitweilig mal ein falsches Muster dabei lernen.

Nützt das alte Englisch-Schulwissen noch? Lässt es sich wieder abrufen?

Schnittger: Ja.

Behrens: Ich habe einen Freund, Jahrgang 59. Der hat trotz Fachoberschule so gut wie kein Englisch gelernt.

Schnittger: Oft wurde in der Schule nur ein Buch vorgelesen. Sue Ellen hat gesagt, Peter hat gesagt. Das ist kein Lernen. Die Gruppe muss sich für die Inhalte interessieren. Also zum Beispiel über Fußball reden.

Behrens: Gefühle sind wichtig. Wir hatten in einem Seniorenkurs das Thema „Heirat“. Da haben vor allem die älteren Männer Fotos mitgebracht und sich begeistert beteiligt.

Wie hat sich bei Ihnen die Nachfrage entwickelt?

Schnittger: Wir sind immer noch Marktführer in Hamburg. Die Zahl der Sprachschulen insgesamt ist aber zurückgegangen. Der größte Konkurrent sind Sprach-Apps zum Selber­lernen. Damit fallen aber viel auf die Nase, weil es eben nur Vokabellernen ist.

Sie werben mit einer „Flatrate“ für 38 Euro. Wie läuft das?

Ludolf Schnittger, 51, ist gelernter Stahlbauschlosser und Geschäftsführer des Vereins für berufliche Weiterbildung.

Behrens: Schüler, die sich für Englisch anmelden, können nach vier Wochen einen Spanisch-, Italienisch- oder Französisch-Kurs dazunehmen. Es kann auch ein zweiter Englischkurs sein. Man zahlt nur die 38 Euro für einen Kurs. Und nach sechs Monaten nur noch 33 Euro. Wir bilden auch Kursleiter selber aus, mit dem „IH Certificate“, dem „International House Certificate in Teaching English to Adults“. Das dauert vier Monate.

Rentiert sich die Flatrate?

Behrens: Ja. Es gibt allerdings Leute, die übertreiben und nehmen vier Sprachen. Aber das kann man nicht durchhalten.

Was verdienen die Kursleiter bei Ihnen?

Schnittger: Nicht sehr viel, so wie bei der Volkshochschule.

Und wie gut sind Sie nun darin, Menschen Englisch beizubringen? Wie merken Sie das?

Schnittger: Die meisten Schüler werden auch Vereinsmitglied, das sind rund 1.800. Wir sehen die Zufriedenheit daran, wie lange sie Mitglied bleiben. Als wir 2007 mit der Statistik anfingen, war das im Durchschnitt 13 Monate. Heute sind es 27 Monate.

Behrens: Ich merke den Erfolg, wenn ein Schüler sagt: Hi, ich war im Urlaub, und habe mir allein Klamotten gekauft. Oder: Ich kann mich jetzt im Büro auf Englisch unterhalten.

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