piwik no script img

Kolumne AndropauseJunge Leute sind ganz nice, srsly

Jugendliche tragen Wollmützen im Sommer, Sonnenbrille im Dunkeln und setzen hinter jede Nachricht einen Smiley. Das nervt, ist aber auch zum Knuddeln.

Junge Leute können Umwelt: deswegen auch die Jutebeutel Foto: dpa

D er alternde Mann hat es weniger leicht, als viele denken. Die Hormone spielen verrückt, der Andropausen­clown versteht die Welt nicht mehr. Die Frau ist weg, und sein bester Freund ist nun der Urologe.

Spätestens seit Eintritt des Vorsiechenalters verstehe ich die Jugendlichen gar nicht mehr. Also alle unter 45-jährigen. Sie sind so anders. Schon wegen Kleinigkeiten reizen sie mich zur Weißglut. Das sind dann stets die Momente, in denen ich sie gerne mal, scheinheilig „um ihr Wohlergehen besorgt“, anspreche: „Warum hast du eine Wollmütze auf? Es ist doch warm. Warum trägst du eine Sonnenbrille? Es ist doch dunkel. Warum fährst du mit Kopfhörern Rad? Es ist doch gefährlich.“

Ihr Gehabe nervt mich kolossal. Die ständig eingestreuten lächerlichen Englischfetzen, obwohl ihre Sprachkenntnisse einer seriösen Qualitätsprüfung oft gar nicht standhielten, srsly. Ihre Unfähigkeit, auf Mails zu antworten, geschweige denn die von mir sauber aufgelisteten Punkte nacheinander abzuhaken. Ihre Angewohnheit, eine Nachricht mit einem schlichten „hey“ ohne Anrede zu beginnen und mit einem Lach-Smiley zu beenden. Das ist weder höflich noch lustig. Und was schon per se nicht lustig ist, wird es auch nicht, indem man ein Grinsezeichen dahintersetzt, word!

Im nächsten Moment könnte ich sie jedoch schon wieder knuddeln. Schließlich waren wir selbst mal jung und haben ganz verrückte Sachen gemacht. Ich hab mal einen Apfel geklaut, der über den Zaun hing. Und einmal ist ein Schneeball in der Schule an der Tafel gelandet, kaum einen Meter neben dem Lehrer. Der war zwar nicht von mir, aber was da hätte passieren können: nicht auszudenken! Außerdem sind die Jungen heute oft so schlau und freundlich – das findet übrigens auch mein Urologe: „Jun-ge Menschen“, sagt er und spricht das N und das G dabei wie immer getrennt aus. Ihre unfassbar niedliche Arglosigkeit, die sich darin manifestiert, eben nicht allem Fremden präventiv mit Ablehnung zu begegnen, rührt mich im Innersten. Sie sind auch echt engagiert, während ich höchstens labere. Und besser als meines ist ihr Englisch allemal – etwas anderes behaupte ich ja nur aus Missgunst.

Sie können überhaupt ganz viel. Komputer und Umwelt und so. Und sie beschämen mich mit ihrer offenherzigen Gelassenheit mir gegenüber. So gehen sie einfach darüber hinweg, dass ich schon über dreißig Jahre vor meinem Tod täglich böser werde und das an ihnen auslebe. Als ob sie ihn nicht mitbekämen, lassen sie den passiv-aggressiven Unterton meiner Warum-Fragen einfach an ihren mit dem Blut zahlloser Social-Media-Trolle perfekt imprägnierten Gemütern abperlen.

Ehrlich besorgt – denn diese beißende Dauerironie, die das gesellschaftliche Klima auf dem Globus komplett zu vergiften droht, ist ihnen fremd – wenden sie sich mir zu: „Sie sind nice. Aber irgendwas nagt in Ihnen. Wollen Sie nicht mal zum Doc gehen? Srsly :)“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Na Servus

    “…Schließlich waren wir selbst mal jung und haben ganz verrückte Sachen gemacht.…“



    Ach was!

    unterm—-🥚jòò Slim&SlimyHeiko&Uli-Manoman



    Die ewigen Untersekundaner am Andropausen­.