piwik no script img

Motortausch allein schafft keine Wende

Strom aus erneuerbaren Energien könnten schon heute den Bedarf des gesamten Pkw-Verkehrs decken – doch durch was sollen dann Kohle- und Atomstrom ersetzt werden?

Von Bernward Janzing

Die Agentur für erneuerbare Energien (AEE) hat es ausgerechnet: „Hamburg ist eine Vorreiterstadt in Sachen Elektromobilität.“ Gemessen an der gesamten Pkw-Flotte seien in der Hansestadt die meisten Elektroautos unterwegs – und zwar, „noch vor den Automobilländern Bayern und Baden-Württemberg“.

Die Quote liegt demnach „schon fast bei 0,3 Prozent“. Rechne man die Plug-in-Hybride mit, erreiche Hamburg „einen Anteil stark elektrifizierter Antriebe an der gesamten Pkw-Flotte in Höhe von 0,5 Prozent“. Robert Brandt, Geschäftsführer der AEE sagt: „Elektrofahrzeuge sind ein wichtiger Teil einer notwendigen Wende im Verkehrsbereich.“

Aber was bedeutet das für die Stromwirtschaft, wenn der Anteil der Elektroautos in Zukunft rapide steigt? In Hamburg waren zum Jahresbeginn 2.233 reine Elektroautos zugelassen. Bei einer jährlichen Fahrleistung von 14.000 Kilometern (das ist der Mittelwert eines Pkw in Deutschland) und einem mittleren Verbrauch von 18 bis 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometer verbraucht jedes Fahrzeug gut 2.500 Kilowattstunden im Jahr. Somit brauchen die derzeit zugelassenen reinen Elek­troautos der Hansestadt annähernd sechs Millionen Kilowattstunden Strom jährlich.

Noch ziehen sie damit nicht einmal ein Promille des in Hamburg erzeugten Stroms. Schließlich fährt aktuell ja auch erst rund jeder 350. Pkw in der Stadt voll elektrisch. Sollten eines Tages jedoch alle Autos elektrisch fahren – die politisch gewollte Langfristperspektive –, würde der zusätzliche Stromverbrauch sehr wohl relevant.

Bei kompletter Umstellung der heutigen Hamburger Pkw-Flotte auf Batteriebetrieb ergäbe sich ein zusätzlicher Stromverbrauch von rund zwei Milliarden Kilowattstunden, das sind fast 20 Prozent der heute in der Stadt erzeugten Menge. Wollte Hamburg diesen Strom zusätzlich aus erneuerbaren Energien bereitstellen, müsste die heimische Erzeugung aus Wind, Sonne und Biomasse mehr als vervierfacht werden.

Dabei tut sich Hamburg schon heute sehr schwer, den heimischen Strommix durch nennenswerte Anteile erneuerbarer Energien zu ergrünen: 94 Prozent der gesamten Stromerzeugung in der Stadt stammten im Jahr 2017 aus fossilen Energien, rechnet das Statistik­amt Nord vor. Und die fossil erzeugte Menge hatte gegenüber dem Vorjahr sogar noch um gut neun Prozent zugelegt. Kritiker lästern bereits über die Hamburger „Kohleautos“.

Umstieg auf Bus, Bahn, Rad nötig

Bundesweit stellt sich die Situation ähnlich dar wie in der Hansestadt. 630 Milliarden Kilometer sind die in Deutschland zugelassenen Pkw im vergangenen Jahr in Summe gefahren. Wären sie allesamt elektrisch unterwegs, würde dadurch der deutsche Stromverbrauch um etwa 120 Milliarden Kilowattstunden erhöht – das sind rund 23 Prozent des aktuellen Nettostromverbrauchs des Landes.

Das Bundesumweltministerium betont zwar: „Es gibt bei weitem ausreichend erneuerbare Energien, um die gesamte deutsche Pkw-Flotte zu elektrifizieren“, aber das würde ohnehin niemand ernsthaft bestreiten wollen, denn im Jahr 2018 wurden in Deutschland 226 Milliarden Kilowattstunden aus Erneuerbaren erzeugt.

Doch was sagt das aus? Bekanntlich kann man auch den Strom aus Wind und Sonne immer nur einmal nutzen. Entweder man ersetzt mit ihm Atom- und Kohlestrom oder man deckt mit ihm den Mehrverbrauch im Verkehr.

Man kann es auch so rechnen: Allein für eine Umstellung der gesamten deutschen Pkw-Flotte würde man den Zubau an erneuerbaren Energien von acht Jahren benötigen, sofern man das Ausbautempo der Vergangenheit zugrunde legt. Der LKW-Verkehr, für den zum Beispiel Oberleitungen diskutiert werden, bräuchte dann weitere Kontingente an Strom.

Damit ist klar, dass mit dem Austausch des Antriebs alleine eine Umstellung auf CO2-freien Verkehr nicht gelingen kann – realistische Ausbauraten der Ökostromerzeugung vorausgesetzt. Entsprechend benennt auch das Wuppertal-Institut in der Studie „Verkehrswende für Deutschland – der Weg zu CO2-freier Mobilität bis 2035“ als zentrales Element einer „Dekarbonisierung von Mobilität und Verkehr“ die „systematische Senkung des Personenverkehrsaufwands“. Also: weniger Autoverkehr.

Man müsse, heißt es in der Studie im Auftrag von Greenpeace, „dort, wo es möglich ist, Personen- und Güterverkehr reduzieren und auf effizientere Verkehrsmittel wie Bus, Bahn und Fahrrad umsteigen“. Somit seien „innovative Strategien im Bereich der Verkehrsvermeidung notwendig“. Im städtischen Raum seien zum Beispiel Zufahrtsbeschränkungen „zu einer weit praktizierten Maßnahme der Verkehrsvermeidung geworden“.

Bereits im Jahr 2016 hatte auch das Umweltbundesamt (UBA) in einer Studie mit dem Titel „Klimaschutzbeitrag des Verkehrs bis 2050“ dargelegt, dass ambitionierter Klimaschutz nur mit einer deutlichen Reduktion des motorisierten Individualverkehrs (MIV) möglich ist.

In seinem Klimaschutzszenario nahm das UBA einen Rückgang des MIV in der Alltagsmobilität im Umfang von 38 Prozent gegenüber einem Referenzszenario an. Auch diese Untersuchung lässt nur ein Fazit zu: Die Verkehrswende dürfte scheitern, wenn man das Projekt nur als Motortausch versteht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen