Regierungskrise in Österreich: Die Republik kann nichts erschüttern

Nach dem Kurz-Sturz steuert Bundespräsident Alexander Van der Bellen das Land mit ruhiger Hand. Hartwig Löger wird Interims-Interims-Kanzler.

Hartwig Löger und Alexander Van der Bellen

Nur eine Unterschrift: Alexander Van der Bellen (rechts) und Hartwig Löger Foto: reuters

WIEN taz | „Kein alltäglicher, aber im Grunde genommen ein normaler demokratischer Vorgang“, sei die Absetzung der österreichischen Bundesregierung am Montag. Nie zuvor war die Gelassenheit und die ruhige Ausstrahlung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen so gefragt wie am Montag, als er die nächsten Schritte aus der Krise in einer Fernsehansprache bekannt gab.

„Die österreichische Politik ist in einer außergewöhnlichen Situation und deswegen möchte ich mich direkt an Sie, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, wenden“, schickte er voraus und versicherte, dass „unsere elegante Österreichische Bundesverfassung, die uns durch diese Tage leitet“, für alle Eventualitäten eine Lösung anbietet. Das vor 99 Jahren vom Juristen Hans Kelsen geschriebene Grundgesetz wurde in den wesentlichen Teilen nach Ende der Naziherrschaft wiederveröffentlicht und gilt, was die Strukturen des Staates betrifft, noch heute.

Ein erfolgreiches Misstrauensvotum, wie es am Montag zum Sturz der Regierung Kurz führte, ist zwar politisches Neuland, doch die Verfassung hat alle Schritte vorgesehen, die zu unternehmen sind, damit die Stabilität der Republik nicht erschüttert wird. So müssen alle Ministerien jederzeit von einem Minister oder einer Ministerin geleitet werden.

Deswegen wurden Dienstag am späten Vormittag die Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten ihrer Ämter enthoben und gleich wieder kommissarisch mit der Fortführung der Verwaltung betraut. Sebastian Kurz wollte nicht. Daher wird er durch Finanzminister Hartwig Löger ersetzt, der Heinz-Christian Strache als Vizekanzler nachfolgte. Er hat Österreich auch bei Treffen der EU-Regierungschefs zu vertreten, bis ein Nachfolger bestellt ist.

Mehr als nur ein Staatsnotar

Van der Bellen ist inzwischen bemüht, einen interimistischen Regierungschef zu finden, der die Amtsgeschäfte bis zur Bildung einer gewählten Regierung im Herbst führen kann. Er berät sich dafür mit allen im Nationalrat vertretenen Parteien, da sich ja auch die Übergangsregierung einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen muss. Eine Staatskrise, so der im ORF-Fernsehen dauerkommentierende Politologe Peter Filzmaier, würde erst eintreten, wenn jetzt mehrere Regierungen in Serie abgewählt würden.

In dieser Situation zeigt sich auch, dass der österreichische Bundespräsident eine eminent politische Rolle spielen kann und viel mehr ist, als ein Staatsnotar, der nur einem Protokoll folgt. „Wir sind alle Österreicherinnen und Österreicher, das verbindet uns naturgemäß“, man solle nicht „jede Minute auf dem herumreiten, was uns trennt. Das wissen wir im Lauf der Zeit eh“, so Van der Bellen vor der Enthebungs- und Vereidigungszeremonie in der Hofburg in einem Appell an die Staatsraison der Parteien.

Weder der Bundespräsident noch die Parteichefs, die er in seine Überlegungen einbezog, wollten sich zu den Persönlichkeiten äußern, deren Namen für das Amt des Übergangskanzlers genannt wurden. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat schon vorher ihre Präferenz für den jüngst pensionierten Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Gerhart Holzinger kundgetan.

Der Grüne Werner Kogler brachte den ehemaligen EU-Agrarkommissar Franz Fischler ins Spiel. Er gehört zwar der ÖVP an, sieht den Kurs von Sebastian Kurz aber kritisch. Auch Altbundespräsident Heinz Fischer wird immer wieder genannt.

Nicht das Budget kompromittieren

Weitgehend einig ist man sich, dass die Übergangsregierung keine großen Initiativen setzen wird. Die Parteichefs gelobten auch, von Parlamentsbeschlüssen, die das Budget kompromittieren, Abstand zu nehmen. Man erinnert sich an einen Plenarabend 2008, als nach dem Zusammenbruch der SPÖ-ÖVP-Regierung mit wechselnden Allianzen die abenteuerlichsten Gesetze beschlossen wurden.

Während der Weg aus der Regierungskrise weitgehend vorgezeichnet ist, herrscht Unklarheit über die Pläne von Heinz-Christian Strache, dessen autoritäre Allmachtsfantasien die Krise ausgelöst haben. Er ist zwar von allen Partei- und Regierungsfunktionen zurückgetreten, konnte sich aber nicht mehr von der Liste für die EU-Wahlen streichen lassen. Da stand er zwar nur an 42. und letzter Stelle, doch haben ihn über 33.000 Vorzugsstimmen ins EU-Parlament befördert. Das Motto „Jetzt erst recht!“ tat seine Wirkung.

Am Montag postete er bereits auf Face­book, dass er das Mandat annehmen wolle. Kurz darauf wurde der Eintrag wieder gelöscht. Norbert Hofer, designierter Parteichef, hält es für unwahrscheinlich, dass sein Vorgänger nach Brüssel geht. Dort würde ihm sein Skandal-Video wohl täglich unter die Nase gerieben werden. Aber die Partei kann ihm das Mandat nicht entziehen. Verzichten müsste er selber.

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