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Archiv-Artikel

Über den Gräbern

Ton Steine Scherben sind auferstanden – neun Jahre nach Rio Reisers Tod und mit dem Zusatz „Family“. Am Samstag spielen sie in Fresenhagen bei Niebüll. Ihre Wiedervereinigung ist ein Wunder, die Band galt als heillos zerstritten

„Keine Macht für niemand“, „Macht kaputt was euch kaputt macht“: ihre Songtitel zieren noch heute Hauswände und Flugblätter. Nun hat sich die Band Ton Steine Scherben wieder zusammengetan, fast 20 Jahre nach dem letzten gemeinsamen Auftritt. Am kommenden Samstag werden sie im nordfriesischen Fresenhagen ihr erstes Vollkonzert geben.

Es ist ein Wunder, dass die Scherben wieder zusammen sind. Wer nach dem überraschenden Tod von Frontmann, Sänger und Texter Rio Reiser im August 1996 mit ehemaligen Bandmitgliedern sprach, verstand schnell, was man sich unter „Scherben-Familie“ vorzustellen hatte: Einen zerstrittenen Haufen Rockmusiker samt Anhang, Freunden und Verwandten. Bereits zehn Jahre vor Reisers Tod hatte sich die Band aufgelöst. Enorme Schuldenberge hatten Rio Reiser und seinen musikalischen Verbündeten und Gitarristen R.P.S. Lanrue zu diesem Schritt veranlasst.

Nach der Trennung unterschrieb Rio Reiser einen Plattenvertrag bei Sony und startete mit „König von Deutschland“ in die deutschen Charts, während die anderen Scherben ihre eigenen Weg gingen. Rios Tod hinterließ im wahrsten Sinn einen Scherbenhaufen. Nahezu alles, was die Band über Jahre miteinander getrieben hatte, war per Handschlag geregelt worden, Verträge oder ähnliches gab es so gut wie gar nicht.

Doch so, wie Rios Tod die Band weiter auseinander brachte, führten andere Tode sie wieder zusammen. Funky, Schlagzeuger und mit Bassist Kai Sichtermann eine Art Urgestein der Scherben, erzählt, dass der Tod von Britta Neander von großer Bedeutung war. Britta hatte fast die gesamte Zeit mit den Scherben in Berlin und später in Fresenhagen gelebt. In den 70ern hatte sie mit „Carambolage“ eine der ersten deutschen Frauen-Rockbands gegründet, später die Lassie Singers und die Band Britta. Ende letzten Jahres starb sie mit nur 49 Jahren. Bei ihrer Beerdigung in Berlin trafen sich fast alle ehemaligen Scherben wieder. Brittas Tod habe klar gemacht, dass man sich besser auf die Gemeinsamkeiten besinnen sollte, sagt Funky.

Im Januar dieses Jahres bot sich dazu die Gelegenheit. Anlässlich der Veröffentlichung des ersten „Best of“-Albums der Scherben (18 Songs aus 15 Jahren) traf sich die Band zu einem Kurz-Konzert in der Berliner UFA-Fabrik. Das Konzert wurde zum Anlass einer großen Versöhnung, die alte Besetzung spielte vor ausverkauftem Haus. Nach dem Konzert, erzählt Funky, war die Stimmung unter den Scherben derart gut, dass man beschloss, wieder zusammen auf Tour zu gehen – unter leicht verändertem Namen: Ton Steine Scherben heißen jetzt Ton Steine Scherben Family. Dirk Seifert

Ton Steine Scherben Family, 20. August beim Rio Reiser Familienfest Fresenhagen (bei Niebüll). Das Konzert ist ausverkauft, aber auch außerhalb der Halle zu hören. Die Tour ist im November