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Jubiläum im Zeichen der Krise

Das Kunstmuseum Wolfsburg feiert seinen 25. Geburtstag. Auf den ersten Blick steht das Haus gut da. Aber seine Glaubwürdigkeit als Institution steht auf dem Spiel

Von Bettina Maria Brosowsky

25 Jahre: oft ein Grund zum Feiern. Auch das Kunstmuseum in Wolfsburg, das am 28. Mai 1994 mit einer Festrede des französischen Kulturpolitikers Jack Lang sowie einer großen Retrospektive von Fernand Léger inauguriert wurde, will sein 25-jähriges Jubiläum auch über das vergangene Eventwochenende hinaus gebührend begehen. „Der Rhythmus des modernen Lebens“, so der damalige Ausstellungstitel, scheint programmatisch für die Dynamik eines Hauses, das auf den ersten Blick heute vorzüglich dasteht. Gerade wurde mit Andreas Beitin ein neuer, der vierte, Direktor installiert.

Mit Millionenaufwand sind die Architektur aufgefrischt und die Gebäudetechnik erneuert worden, so dass auch künftig hochkarätige Ausleihen für die opulenten monografischen und thematischen Ausstellungen erwartet werden können. Zuletzt waren das „Never Ending Stories. Der Loop in Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kulturgeschichte“, unveröffentlichte Fotografien von Robert Lebeck oder „Facing India“ mit sechs Künstlerinnen des Subkontinents. Solche Ausstellungen sind das Markenzeichen des Hauses und sorgen trotz der abseitigen Lage für Besucherzahlen, von denen vergleichbare Institutionen nur träumen können.

Von Anbeginn konnte das Haus auch seinem musealen Auftrag systematischen Sammelns nachkommen. Dass durch das finanzielle Engagement des VW-Konzerns ein respektabler Bestand zusammengetragen werden konnte, der auch prominente Künstler*innen in mehrteiligen Werkkomplexen abbildet, mag wenig überraschen.

Die Qualität der Sammlung liegt in ihrer Konzentration auf zeitgenössische Kunst seit 1968, dem Jahr gesellschaftlichen und kulturellen Umbruchs, die Gründungsdirektor Gijs van Tuyl als adäquat für die junge Industriestadt verankerte.

Dem Niederländer, der das Haus bis 2005 leitete, gelang bereits im allerersten Ankauf ein richtungweisender Pflock. „Der Tisch der Fruchtbarkeit“ von Mario Merz aus dem Jahr 1976 steht forthin emblematisch für die Sammlung, ist zudem Sinnbild der Eingebundenheit alles Menschlichen in die Natur. Eine niedrige organische Spirale präsentiert saisonales Obst und Gemüse, stets in voller Reife, auch als olfaktorisches Ereignis am Übergang zum Verfall.

Mario Merz wurde unter van Tuyl weiter besammelt, Werke von Anselm Kiefer oder Carl Andre kamen hinzu, Arte Povera und Minimal Art. Die Fotografie – von Cindy Sherman, Gilbert & George oder Nobuyoshi Araki – erhielt Vorrang vor der Malerei, installative Kunst vor der Plastik. Nach sechs Jahren des Sammelns bewertete Gijs van Tuyl das Erreichte als ein eigenes Kunstwerk, die Sammlung hat „Struktur, Kohärenz und Handschrift“. Das Museum gab einen vorbildlichen Sammlungskatalog heraus.

Die Gunst des Augenblicks

Mit Millionen­aufwand sind die Architektur aufgefrischt und die Gebäudetechnik erneuert worden

Mittlerweile auf immerhin 600 Werke oder Gruppen von über 100 Künstler*innen angewachsenen, arrangiert eine Jubiläumsschau derzeit etwa ein Drittel des Bestandes – Werke aller Disziplinen von knapp 80 Künstler*innen – über die gesamten Ausstellungsbereiche, mithin auf rund 3.500 Quadratmetern Fläche, zu einem luftigen Parcours dialogischen Charakters.

„Now is the time“, so nun der Titel, ist einer Malerei von Michel Majerus entnommen und will das Bewusstsein für die Gunst des Augenblicks beweisen. Mario Merz ist natürlich dabei, Rebecca Horn, Andreas Gursky oder Christian Boltanski vertreten den älteren Sammlungsbestand, Fotografien des Südafrikaners Pieter Hugo oder die raumfüllende audiovisuelle Installation „Sigh“ der britischen Musikerin und Videokünstlerin Sam Taylor-Johnson die Neuerwerbungen.

Der Schau gelingen stimmige Setzungen, wie gleich am En­trée: Jörg Immendorffs 1990, im Jahr der neu gewonnenen deutschen Einheit, entstandene monumentale „Kleine Reise (Hasensülze)“, tritt der 58-teiligen Installation der südamerikanischen Künstlerin Firelei Báez gegenüber. Sie verwendet historische Druckerzeugnisse, um die lange Wirksamkeit kolonialer Prägung oder den prekären Subjektstatus der schwarzen Frau aufzuzeigen.

Aber auch Immendorff sah in der Kunst ein Instrument politischen Handelns. Es bricht sich Bahn in düster assoziationsreichem Setting mit Beuys, dem Erfinder des sozialen Kunstbegriffs, und Duchamp, dem Protagonisten des nicht-subjektiven Ready-mades, als nicht nur künstlerische Bezugsgrößen im Zentrum.

Die erst 2018 akquirierte Arbeit von Firelei Báez lässt zudem die neue Handschrift in den Sammlungsbemühungen erkennen: Sie sind globaler, weiblicher und politischer orientiert, nicht mehr auf die, mittlerweile selbst für Wolfsburger Verhältnisse unerschwinglichen Werke westlicher Kunstheroen. Diesen Kurswechsel verantwortete Ralf Beil, der im Februar 2015 als dritter Direktor auf den 2014 verschiedenen gebürtigen Basler Markus Brüderlin folgte.

Globaler, weiblicher, politischer

Hatte Brüderlin mit intellektueller Präzision dem Haus ein stringentes Suchprogramm zur Moderne im 21. Jahrhundert verordnet und ein forschendes, mehr denn ein sammelndes Museum als Ziel ausgegeben, begann Beil eine schwungvolle „Sammlungs­offensive“. In seiner ersten großen Themenschau „Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor“ ortete er 2016, auch hier wenig zimperlich, die lokalen Befunde, zur NS-Geschichte der Kommune etwa und ihrer systemischen Verflechtung mit einem Konzern, der als Geschäftsmodell selbst den Betrug nicht ausschließt.

Dass diese kuratorische Systemkritik auf wenig Gegenliebe im VW-Konzern stieß, verwundert nicht, wohl aber der spektakuläre Rauswurf Beils zu Weihnachten 2018. Er hatte sich geweigert, in einem vorzeitigen Auflösungsvertrag umfassende Urheberrechtsverzichte für das schon durchgeplante Jubiläumsjahr zu unterzeichnen. Sie wären einer regelrechten Selbstauslöschung als Kurator und Wissenschaftler gleichgekommen, sagte Beil dazu im Gespräch mit dem Magazin Kunstforum. Seine für Herbst 2019 konzipierte, kulturhistorisch grundierte Schau „Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“ wurde offiziell bis auf Weiteres verschoben, im März ist jedoch der österreichische Partner, das Wiener Belvedere, abgesprungen.

So steht das 25-jährige Jubiläum des Wolfsburger Kunstmuseums gleichzeitig im Zeichen seiner größten Krise. Denn es geht um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit einer dem öffentlichen Wohl verpflichteten Kulturinstitution, ihre geistige Autonomie, kuratorische Freiheit sowie ihre nicht zu zensierenden Themensetzungen.

Gerade mit solchem Tenor wollte Beil sein institutionskritisches Jubiläumsjahr hinterlegen: Was hat das Haus bisher bewirkt, was kann ein Museum heute überhaupt bewirken. Zumindest so viel ist klar: Ein braves Konzernmuseum braucht kein Mensch.

„Now is the Time“: bis 29.9., Kunstmuseum Wolfsburg

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