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Gemeinsame Trauer und Hoffnung

Tausende Israelis nehmen an Zeremonie für beiderseitige Opfer des Konflikts mit den Palästinensern teil

Aus Tel Aviv Susanne Knaul

Am Tag vor den jährlichen Unabhängigkeitsfeiern gedenkt Israel seiner Helden. Um 20 Uhr am Vorabend und um 11 Uhr am Gedenktag fordern Sirenen für zwei Minuten zum kollektiven Innehalten zu Ehren der gefallenen Soldaten auf. Erst am Wochenende wurden vier Israelis getötet bei neuen kriegerischen Auseinandersetzungen mit der islamistischen Führung der Hamas im Gazastreifen. Dort starben 27 Palästinenser bei Luftangriffen. Mit Hilfe ägyptischer Vermittlung und Fördergeldern von 480 Millionen US-Dollar aus Katar, die für Gesundheit und Bildung in den palästinensischen Gebieten sowie die Infrastruktur im Gazastreifen gedacht sind, konnte eine Feuerpause erreicht werden.

Bei den offiziellen Gedenkfeiern auf Jerusalems Herzl-Berg nannte Israels amtierender Regierungschef und Verteidigungsminister Benjamin Netanjahu die gefallenen Soldaten „menschliche Diamanten“. Er versicherte erneut, dass „wir dem Iran niemals erlauben werden, in den Besitz nuklearer Waffen zu kommen“.

Seit 2006 gibt es die alternative Gedenkzeremonie. Organisatoren sind die Combatants for Peace (CfP), ehemalige israelische Soldaten und palästinensische Terroristen, die dem Kampf entsagten und sich seitdem zur Gewaltlosigkeit verpflichten, sowie das Forum der Familienangehörigen von Terroristen und Terroropfern.

Netanjahu hatte versucht, die Einreise von 181 palästinensischen Friedensaktivisten zu unterbinden. „Für eine Zeremonie, die das Blut unseres Volkes mit dem der Terroristen vergleicht, ist kein Platz“, sagte er. Doch in 100 Fällen entschied der oberste Gerichtshof gegen das Einreiseverbot. Es sei nicht Sache des Verteidigungsministers zu entscheiden, „wie trauernde Familien ihren Schmerz zum Ausdruck bringen“, sagte Richter Isaak Amit. Die Zeremonie sei „keine Gefahr für die israelische Öffentlichkeit“.

„Wir kommen in Schmerz und Trauer zusammen und der gemeinsamen Hoffnung auf ein Ende der Besatzung und des Konflikts“, eröffnete die israelisch-palästinensische Schauspielerin Samira Saraja die alternative Veranstaltung. Sie moderierte sie zusammen mit Mika Almog, der Enkelin des früheren Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträgers Schimon Peres. „Wir alle, Israelis und Palästinenser, sind die Opfer des Konflikts, aber wir sind auch die Täter.“ Deshalb sei es „unsere Pflicht“, den Konflikt zu beenden und „unseren Kindern Hoffnung für die Zukunft zu geben“.

Zu den 100 Palästinensern, die nach Tel Aviv kommen durften, gehört der 15-jährige Mohammed Darwisch aus dem Flüchtlingslager Aida bei Bethlehem. Mit fester Stimme erzählte er vom Tod seines besten Freundes, der bei Unruhen im Lager von Soldaten erschossen worden war. „Mein lieber Freund Abd-el Rahman“, wandte er sich in direkter Rede an den Toten: „Die Geschichte, dass Land Blutvergießen lohnt, ist nicht wahr.“ Per Videoübertragung kamen mehrere Palästinenser zu Wort, die nicht einreisen durften. Mohammed Unbus, ein Aktivist der CfP, verlor seinen Bruder, einen gewaltsamen Widerstandskämpfer, während der zweiten Intifada. „Meine Worte setzen seinen Kampf fort“, erklärte Unbus traurig. „Unser Schmerz ist größer als der Konflikt.“

Zu den Gegnern der Veranstaltung gehört Itamar Ben Gvir, Aktivist der rassistischen Partei Vereinte Rechte, die vor vier Wochen ins Parlament gewählt wurde. „Wir sind gekommen, um gegen diesen Wahnsinn zu protestieren, gegen eine Gedenkveranstaltung für Terroristen“, Palästinenser, die Steine geworfen haben und „die Gott sei Dank, Gott sei Dank erschossen wurden“. Dass die Polizei die Demonstranten mehrere hundert Meter von der Veranstaltung getrennt hielt, sei „unerhört“.

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