: Pizarro in petto
Werder Bremen gewinnt gegen RB Leipzig. Für die Europa-League-Qualifizierung reicht das 2:1 nicht. Für große Gefühle sorgt die Nachricht, dass Claudio Pizarro erst mal bleibt
Von Ralf Lorenzen
Lange Zeit sah es beim 2:1-Sieg von Werder Bremen gegen RB Leipzig so aus, als hätte das Spiel seinen Höhepunkt vor dem Anpfiff gehabt. Der schon für die Champions League qualifizierte Gast trat mit einer nicht eingespielten B-Mannschaft an, mit der Trainer Ralf Rangnick die Stammkräfte für das Pokalfinale gegen Bayern München am kommenden Samstag schonte.
Und Werder suchte lange vergeblich nach einem Schlüssel, um auch ohne den verletzten Ideengeber Max Kruse gefährlich vor das gegnerische Tor zu kommen. Auch aus den Spielständen in den anderen acht Stadien dieses 34. Spieltages konnte das Publikum nur kurzfristig Spannung saugen – dann führte der VfL Wolfsburg 3:0 (Endstand 8:1!) gegen den FC Augsburg und Werder konnte selbst mit einem Sieg bestenfalls Tabellenachter werden und damit das selbst gesteckte Saisonziel, die Qualifikation für die Europa League, nicht mehr erreichen.
So trösteten sich die Bremer Anhänger bis weit in die erste Halbzeit mit der Erinnerung an die Inszenierung, die die Klubregie ihnen vor Spielbeginn geboten hatte. Nach dem Motto „Wir haben zwei Nachrichten für euch, eine schlechte und eine gute“ wurde zunächst Max Kruse verabschiedet, auf dessen variablen, unberechenbaren Aktionen das Werder-Spiel in den vergangenen drei Jahren meist zugeschnitten war.
Schon am Vortag hatte die Geschäftsführung mitgeteilt, dass die Verhandlungen um eine Vertragsverlängerung des Angreifers beendet seien und Kruse den Verein verlassen werde. Der 31-Jährige wartet offenbar auf einen letzten großen Vertrag zu Konditionen, die Werder ihm nicht bieten kann. In den Tagen zuvor waren die Töne aus der sportlichen Leitung lauter geworden, die eine Abhängigkeit des weiteren Erfolgs vom Verbleib des exzentrischen Kruse verneinten.
Pizarro bleibt
Auch die Enttäuschung der Fans hielt sich in Grenzen: Noch während auf der Videoleinwand Spielszenen von Kruse und dem ebenfalls scheidenden Aron Johannsson liefen, huldigte die Ostkurve dem gerade vom Aufwärmen an ihr vorbei in die Kabine laufenden Claudio Pizarro mit Sprechchören – und machten deutlich, wessen Abgang sie wirklich schmerzen würde. Kaum waren die Blumen an Kruse und Johannsson übergeben, tauchte das Gesicht Pizarros auf der Leinwand auf und jedem war sofort klar, was er verkünden würde: Der mit 40 Jahren älteste Bundesliga-Torschütze aller Zeiten wird mindestens noch eine weitere Saison für Werder spielen.
Bis kurz vor Spielende blieb der nach dieser Ankündigung aufbrausende Applaus die stärkste Gefühlsregung an diesem Nachmittag – dann hatte eine übergeordnete Regie noch eine besondere Pointe in petto. Das Ergebnis schien auf ein leistungsgerechtes 1:1 (Torschützen: Milot Rashica, 35. Minute per Elfmeter, Nordi Mukiele, 86. Minute) hinauszulaufen, da machten die Leipziger Abwehrspieler ehrfurchtsvoll Platz für die Ballannahme des zehn Minuten vorher eingewechselten Pizarro, der mit einem trockenen Schuss aus sechzehn Metern Werder doch noch zum Sieg schoss.
Wie Statistiker schnell ausrechneten, machte dieser Treffer Werder mit 53 Punkten zum besten Achten der Bundesligageschichte. Dieser kuriose Titel zeigt allerdings noch schmerzhafter auf, wie knapp die Mannschaft am Saisonziel vorbeigerauscht ist. Lediglich ein Punkt und drei Tore fehlen auf den Sehnsuchtsplatz sieben – und so begann kurz nach Schlusspfiff die Suche nach diesem verloren Punkt.
Fast alle waren sich einig, dass Werder hauptsächlich gegen die Mannschaften aus der Abstiegszone wie den 1. FC Nürnberg oder den VfB Stuttgart zu viele Punkte liegen gelassen hat.
Der Blick in die Gesichter von Spielern, Verantwortlichen und Fans verriet aber auch, dass aus dieser Bundesliga-Saison vor allem die guten Nachrichten hängen bleiben werden. Die von mindestens einer Handvoll begeisternder Spiele in Liga und Pokal, die an alte Glanzzeiten anknüpften; die von einer Mannschaft, die sich spielerisch auf einem Niveau stabilisiert hat, von dem aus sie auch in der kommenden Saison obere Tabellenregionen anvisieren kann; die von einem Trainer, um dessen Mischung aus Klarheit, Überzeugungskraft und Leidenschaft Werder von der Liga beneidet wird.
Und schließlich die von der Vertragsverlängerung eines Stürmers, dessen bloßes Erscheinen die Statik eines Spiels und die Gemütslage der Zuschauer verändern kann.
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