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Die schwulste Metropole am Mittelmeer

Israel hat schon lange eine enge Verbindung zum Eurovision Song Contest. Und zu keiner Stadt passt der Wettbewerb so gut wie zu Tel Aviv, wo er als queere Familienshow gefeiert wird

Der Jubel in Israel war groß, als Netta Barzilai 2018 beim ESC in Lissabon gewann Foto: Vyacheslav Prokofyev/Itar-Tass/imago

Von Jan Feddersen

Mag der Eurovision Song Contest Samstag in einer Woche in Israel auch von der Regierung Benjamin Netanjahus zu einer unziemlichen Werbung für dieses nahöstliche Land genutzt werden: In Tel Aviv ist die queere Familienshow das ersehnte Festival – eine Art vorgelegter CSD mit heterosexuellen Freund*innen und mit europäischen Gästen.

Dass es überhaupt die erst gut 100 Jahre junge Stadt wurde, dass die Wahl auf die queerste, besser: schwulste Metropole am Mittelmeer fiel, hat sendetechnische, freilich auch reli­giöse Gründe. In Jerusalem gab es keine technisch perfekt ausgerüstete Hallenarena, außerdem nicht genügend Herbergs­kapazität für geschätzt 20.000 Be­­­sucher*innen aus 50 Ländern – aber obendrein wäre die Hauptstadt Israels auch atmosphärisch nicht die perfekte Pointe nach dem Sieg der hippen Netta Barzilai im vorigen Jahr beim ESC in Lissabon.

Netta wuchs künstlerisch schließlich in den coolen Clubs von Tel Aviv auf, hier setzte sie ihren Fight for Diversity an, hier durfte sie die sein, die sie ist: eine körperlich nicht Heidi-Klum-artigen Maßen entsprechende Person. Tel Aviv hatte außerdem den Vorteil, dass man beim jüdischen „Sonntag“, dem Schabbath, der von Freitagabend bis zum Einbruch der Dunkelheit am Samstag dauert, nicht so genau hinsieht. Es darf in der ESC-Halle geprobt werden, und keine orthodoxen Religionswächter werden vor Wut zu Steinewerfern.

Wobei: Israel, bis in die religiösen Sphären hinein, würde für den ESC so gut wie alle Gesetze suspendieren. Seit 1973 nimmt das Land teil, das war im Frühjahr nach dem Olympiamassaker palästinensischer Terrorist*innen auf die israelische Sportler*innen in München. Das Land war in seiner Nachbarschaft isoliert und suchte mehr denn je Kontakt zum europäischen Kontinent. Ilanit, in Deutschland eine bekannte Schlagerfigur, war die erste israelische ESC-Chanteuse. Ihr Lied gewann zwar nicht, aber man erkannte in den eurovisio­nären Bemühungen des öffentlich-rechtlichen Senders IBA sehr starken Ehrgeiz: Man wollte mitmachen, aber nicht, um Letzter zu werden, sondern um zu gewinnen.

Der erste Triumph gelang 1978 in Paris mit Izhar Cohen und einer Tanzformation: „A-Ba-Ni-Bi“ war ein Lied im damals modernen Discorhythmus – das Land taumelte im Glück, als dem Sohn jeminitischer Einwanderer gelang, die europäische Konkurrenz hinter sich zu lassen. Im Jahr darauf gewann Gali Atari & Milk and Honey mit dem bis heute bekannten Klassiker „Hallelujah“. Dieser ESC fand erstmals in Jerusalem statt, wie auch der von 1999, nachdem Dana International gewonnen hatte.

Das waren damals, 20 Jahre ist das her, noch andere Verhältnisse. Mit Dana Internatio­nal, einer Trans*person, die mit dem Lied „Diva“ dem ESC zeitgenössischen Glamour verpasste und zur Belohnung des Publikums beim Siegesvortrag 1998 das designte Buntfedergesteck Jean-Paul Gaultiers trug und jede Menge Applaus erntete, konnte es sich damals locker leisten, noch auf der Bühne von Birmingham ihren Sieg allen Queers in der Welt zu widmen und ihrem Land als Geschenk zum 40. Geburtstag der Staatsgründung zu unterbreiten. Sie wurde in Tel Aviv bei der Rückkehr wie eine Königin aller israelischen Herzen empfangen.

Vorjahressiegerin Netta wuchs künstlerisch in den coolen Clubs von Tel Aviv auf

Jerusalem als Austragungsort des ESC war im Jahr danach unstrittig, noch hielt man auf palästinensischer wie israelischer Seite eine Zweistaatenlösung für eine reale Vision, und möglich war auch, dass einige Fans die Reise zum Grand Final mieden, weil sie viel zu katholisch von Raumschiffen fantasierten, die es beim ESC zum Jüngsten Gericht kommen lassen würden.

Nichts davon passierte, weder kam es zur Apokalypse noch mobilisierte eine Dämonisierungskampagne namens BDS gegen Israel und suggerierte, das Land sei schlimmer als jedes andere in der Welt. Jerusalem war in vielen Gebieten schon ultrareligiös, ein Partyleben gab es nur im Underground. Aber ein ESC ohne Partys bis in die tiefen Nächte ist ja kaum noch denkbar. Israel ist dafür der richtige Platz, sagt das Tel-Aviv-Marketing.

Deutschland war übrigens beim ESC sowohl 1999 als auch 1979 dabei, vor 40 Jahren mit dem Song „Dschinghis Khan“. Alle deutsche Kulturwelt schämte sich, weil Komponist Ralph Siegel einen solche eroberungshaften und sexistischen Titel erschuf. Da half ihm in den hiesigen Medien auch nicht, dass es ihm ein persönliches Anliegen war, dass die deutsche Delegation die Gedenkstätte in Jad Vaschem besucht. Der Titel von damals ist bis heute in Israel eines der beliebtesten deutschen Poplieder geblieben.