Tchibo-Managerin über Textilbündnis: „Freiwilligkeit Einzelner reicht nicht“

Nanda Bergstein unterstützt den Gesetzentwurf für Sorgfaltspflichten von Firmen. Beim staatlichen Textilsiegel „Grüner Knopf“ hat sie Bedenken.

Die Sonne scheint über einem Baumwollfeld

Die Baumwolle ist bio – aber wie sieht es mit den Rechten der Fabrikarbeiter aus? Foto: dpa

taz: Weniger giftige Chemikalien, besserer Brandschutz, höhere Löhne – seit fünf Jahren will CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller mit seinem Textilbündnis die Zustände bei den Zulieferern der Textil­konzerne verbessern. Ist bei den Arbeiterinnen und Arbeitern in Bangladesch, Pakistan und anderen Ländern davon etwas angekommen?

Nanda Bergstein: Tchibo ist schon länger an dem Thema dran. Zusammen mit anderen Firmen machen wir Fortschritte. Und es gibt zwei konkrete Bündnisinitiativen, eine davon im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. In 300 Textilfabriken und Spinnereien finden Trainings statt, damit Frauen und Mädchen ihre Rechte durchsetzen, beispielsweise durch die Schaffung von Beschwerde­komitees, deren Mitglieder geheim gewählt und danach durch das Programm geschult werden. Das macht für die Beschäftigten einen echten Unterschied.

Nur zwei Projekte in fünf Jahren – das klingt nach Theo­rie und Beschäftigungs­therapie.

Auch wir würden uns wünschen, dass mehr praktische Programme vor Ort liefen. Aber zu wenig andere Mitglieds­firmen ziehen mit.

Nun will Müller das neue, staatliche Textilsiegel „Grüner Knopf“ einführen. Kann das einen neuen Impuls geben?

Wir sind skeptisch, dass der Grüne Knopf allein schnell genug zu einer Verbesserung der sozialen und ökologischen Bedingungen in den Produktionsländern führt. Vielleicht kann er aber helfen, die Kundinnen und Kunden mit auf den Weg zu nehmen. Wer das staatliche Siegel an einem Kleidungsstück sieht, lässt sich möglicherweise eher zum Kauf nachhaltiger Produkte animieren.

Warum bringt das Siegel keine Fortschritte bei den Arbeitsbedingungen in den Zulieferfabriken?

39, leitet seit 2018 den Bereich Unternehmensverantwortung des Einzelhändlers Tchibo.

Zertifikate halten nicht immer, was sie versprechen. Unternehmen können sie erhalten, wenn sie beispielsweise erklären, die Gewerkschaftsfreiheit in ihren Zulieferfabriken durchzusetzen. Tun sie das aber wirklich? Die bescheinigten Standards entsprechen mitunter nicht der Realität. Tchibo bemüht sich dagegen, zusammen mit dem internationalen Gewerkschaftsbund IndustriAll, die Beschäftigten vor Ort zu stärken. Was ein Siegel wert ist, hängt davon ab, ob es die Firmen ernst nehmen und was sie tun, um vor Ort Dinge zu verändern.

Wird Tchibo beim Grünen Knopf mitmachen?

Wir können uns vorstellen, dass wir das Siegel bei den Kunden testen. Wenn es in unserem Onlineshop als stärkerer Kauf­anreiz wirkt als etwa das Gots-Siegel für Biobaumwolle, wäre das ein Vorteil.

Tchibo unterstützt zwar Tarifverhandlungen in seinen Zulieferfabriken, trotzdem bekommen viele Arbeiter*innen keine ausreichenden, existenzsichernden Löhne. Warum?

Am Mittwochabend hat Tchibo in Berlin unter anderem Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) zu Gast. Bei der Veranstaltung will die Hamburger Firma weitere Unternehmen und die Politik davon überzeugen, schneller zu handeln. Trotz jahrelangem Gerede würden die Beschäftigten in Bangladesch, Kambodscha und anderen Produktionsländern noch immer Löhne bekommen, die viel zu niedrig seien.

Allein schaffen wir es nicht, die Bezahlung deutlich anzuheben. Deshalb plädieren wir für flächendeckende Tarifverhandlungen in allen Produktionsländern. Um das zu erreichen, kooperieren wir mit 20 weiteren globalen Textilhändlern wie H&M, Inditex und Primark in der Organisation ACT. Tchibo ist nicht der einzige Einkäufer in den Fabriken. Wenn wir allein mehr zahlen, subventionieren wir nur die Wettbewerber, die nicht mitziehen.

Bisher haben diese gemeinsamen Tarifverhandlungen mit den ACT-Firmen aber noch nicht begonnen.

In Kambodscha bringen wir das erstmals auf den Weg. Es ist ein intensiver Prozess. Der kambodschanische Arbeitgeber­verband hat Sorge, dass unsere Firmen nur 50 Prozent des Marktes repräsentieren und die anderen Einkäufer die höheren Kosten nicht akzeptieren.

Auch einige Mitglieder des Textilbündnisses machen nicht mit.

Das muss sich ändern. Wir fordern Unterstützung. Daran wird sich zeigen, ob das Textilbündnis mehr Wirkung für die Beschäftigten der Fabriken erzielen kann als bisher.

Sie befürworten einen „systemischen Ansatz“. Nun hat Müllers Ministerium ein Gesetz für Sorgfaltspflichten der Unternehmen entworfen. Was halten Sie davon?

Wir begrüßen Regulierungen, die für alle Marktakteure in Europa gleiche Bedingungen schaffen. Mit freiwilligen Initiativen einzelner Firmen allein werden wir nicht schnell genug vorankommen. Damit die Regulierung sinnvoll etwas in den Produktionsländern bewegt, brauchen wir in der Branche gleichzeitig eine tiefere Diskussion darüber, welche Maßnahmen echte Veränderungen bewirken.

Das Gesetz könnte auch Firmen verpflichten, dass diese Tarifverhandlungen in ihren Zulieferfabriken, etwa in Kambodscha, ermöglichen müssen.

Ein verbindlicher Rahmen dafür würde der Umsetzung von ACT helfen.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) scheinen jedoch kein großes Interesse an dem Gesetz zu haben. Wird es trotzdem irgendwann verabschiedet?

Ich hoffe es. Wir werben dafür. Staatliche Regulierung kann ein wichtiger Schritt sein, um voranzukommen. Auch freie Marktwirtschaft braucht Regeln.

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