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Kommentar Urteil ZwangsernährungDie Menschenwürde muss vorgehen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Der BGH hat entschieden: Es soll keinen Schadensersatz geben, wenn Ärzte den Tod eines Menschen unnötig hinauszögern. Das Urteil ist einseitig.

Ist das bewusstlose Leben an Maschinen menschenwürdig? Foto: dpa

D er Staat soll nicht feststellen, wann Leben „lebensunwert“ ist. Deshalb könne es keinen Schadensersatz geben, wenn Ärzte durch künstliche Ernährung den Tod eines Sterbenskranken unnötig lange hinauszögern. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) beschlossen. Das Urteil ist nicht falsch, aber es ist einseitig.

Natürlich muss verhindert werden, dass Erben mit Schadensersatzklagen drohen können, um schneller an das Vermögen ihres schwerkranken Angehörigen zu kommen – oder um weitere Ausgaben für die Pflege und Versorgung zu vermeiden, die das Erbe schmälern. Auch den Krankenkassen sollte kein Instrument an die Hand gegeben werden, Krankenhäuser und Ärzte davon abzuhalten, weitere Behandlungskosten zu verursachen.

Allerdings verwundert es, dass der BGH nur das Leben betont und sogar für „absolut erhaltungswürdig“ erklärt. Dagegen wird die Menschenwürde mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie im Grundgesetz über allem steht und den eigentlich „absoluten“ Wert unserer Verfassungsordnung darstellt.

Von den Menschen, die eine Patientenverfügung verfasst haben, weiß man, dass sie in aller Regel keine lebensverlängernden Maßnahmen um jeden Preis wünschen. Sie wollen nicht bewusstlos dahinvegetieren, nur weil künstliche Ernährung und künstliche Beatmung das technisch möglich machen. Es muss also auch einen Schutz gegen Ärzte und rechtliche Betreuer geben, die aus Bequemlichkeit, aus religiöser Ideologie oder aus finanziellen Interessen den Tod eines todkranken Patienten monate- oder jahrelang hinauszögern.

Der beste Schutz ist natürlich, wenn jedeR rechtzeitig eine Patientenverfügung erstellt und einer Vertrauensperson eine entsprechende Vollmacht gibt. Es kann aber nicht sein, dass diejenigen, die dies versäumen, am Lebensende weitgehend rechtlos ihren Ärzten und Betreuern ausgeliefert sind. Der Mensch darf am Lebensende nicht zum bloßen Objekt einer höchstrichterlichen Lebensschutzideologie werden.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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11 Kommentare

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  • Sie schrieben: „Dass jemand ohne seinen Joghurt, ohne seinen Fernseher und ohne seine Lieblingsgewohnheit nicht leben mag, ist ein bißchen wenig."

    Ihre Polemik ist reichlich überflüssig, wenn Sie sich den vor dem BGH behandelten Fall oben noch mal zu Gemüte führen. Da ging es eben nicht um solche Petitessen.

    Meines Erachtens wurde versäumt genauer zu beleuchten, ob Arzt und Betreuer den Patienten zum bloßen Profit am Leben erhalten haben.

    Sterben zu dürfen hat sehr wohl auch was mit Menschenwürde zu tun. Und gerade im obigen Fall hat es aus meiner Sicht nichts mit der Entscheidung über den Wert eines Lebens zu tun.

    • @Helmut Fuchs:

      Und das sollte eine Antwort auf ERICB werden...

  • Den Versuch einen schwerkranken Menschen durch ärztliche Arbeit am Leben zu erhalten, halte ich für sehr vereinbar mit der "Würde des Menschen"! Dadurch wird überhaupt erst die Möglichkeit geschaffen, über die weiteren Chancen und Risiken des Patienten nachzudenken. Dass es vielleicht auch einen Punkt gibt, wo man sagt, jetzt ist genug und man muss auch sterben können, ist richtig, aber nachgelagert. Bei einem 75jährigen oder 85jährigen wird man nicht mehr ganz soviele Maßnahmen setzen, wie bei einem 25jährigen. Wobei es Leute gibt, die mit 80 mehr Lebenswillen haben, als andere mit 20. Das hängt aber auch damit zusammen, dass bei Jüngeren der Heilungsprozess sichtbar startet und bei Älteren nur sehr langsam oder nie. Als Arzt schaut man da sehr genau hin. Dieses Thema ist komplexer, als es der Artikel suggeriert. Man möge doch einmal in einer entsprechenden Intensivstation anfragen, wie sich das für die Ärzte anfühlt. Dass jemand ohne seinen Joghurt, ohne seinen Fernseher und ohne seine Lieblingsgewohnheit nicht leben mag, ist ein bißchen wenig.

    • @EricB:

      Ja, ich glaube, dass es sehr vielen Ärzten nahe geht, wenn Patienten sterben. Und sie in bester Absicht handeln, wenn sie auch ein hinfälliges Leben erhalten.

      Aber gleichzeitig habe ich bereits erlebt, wie Patienten als bloßer Wirtschaftsfaktor behandelt werden. Und nur ein lebender Patient kann abrechnungsfähige Leistungen einbringen.

      Eine Freundin von mir, die ganz offensichtlich bereits in den letzten Tagen ihres Lebens war (Ende 60 und keine eigene Bildung roter Blutkörperchen mehr), als Privatversicherte noch allerhand überflüssige Untersuchungen über sich ergehen lassen musste: Sie wurde mir sogar, als ich das letzte mal bei ihr war, mitten im Besuch und unter meinem erfolglosen Protest weggefahren zu einem Kernspin des Gehirns. Der Termin war in den Klinikabläufen wichtiger als mein Abschied. Und sie war bereits zu schwach zur Gegenwehr. Zwei Tage später war sie tot. Und ich bin immer noch wütend, wenn ich daran denke, wie sehr man sie „gemolken“ und mit sinnlosen Untersuchungen gequält hat, anstatt sie in Würde gehen zu lassen und ihr die letzten Tage zu erleichtern.

      Die Gefahr als reiner Wirtschaftsfaktor am Leben erhalten zu werden (und zum Leben gequält zu werden) ist leider realistisch. Und an diesem System sind AUCH Ärzte beteiligt.

      P.S. Die oben genannte Freundin hatte eine Patientenverfügung. Die ist kein Allheilmittel.

  • Ah ja. Herr Christian Rath: “…Das Urteil ist nicht falsch, aber es ist einseitig...."



    & dazu & daraus folgernd -



    “…Dagegen wird die Menschenwürde mit keinem Wort erwähnt, obwohl sie im Grundgesetz über allem steht und den eigentlich „absoluten“ Wert unserer Verfassungsordnung darstellt.…"

    Nun - das könnte allerdings Ihrerseits auch etwas … öh einseitig sein.



    (Mal ganz davon ab - daß sich das Recht unserer Rechtsordnung schon immer schwer getan hat - mit dem sog. immateriellen Schaden!)

    Denn in der Pressemitteilung des BGH - liest sich's m. E. mit Verlaub ziemlich anders & Art 1 GG = Menschenwürde - wird ausdrücklich zur Begründung angeführt:



    “…Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte Pflichten verletzt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.…"



    www.bundesgerichts...cid359?nn=10690868

    kurz - Ihrer Deutung des Urteils einschl. Ihren begründenden Ausführungen vermag ich vorsichtig ausgedrückt - nicht beizutreten.

  • Eine logische Position (und nicht ganz ungängig) zum Verhältnis von Würde zu Leben ist, dass man grundsätzlich die Würde des Menschen am besten wahrt, indem man ihm die Entscheidung über Leben und Tod möglichst nicht final entreißt. Insofern gehen Leben und Würde hier Hand in Hand. Jemandem zu unterstellen, dass er "dieses " Leben ja nicht wollen kann, verstößt gegen diesen Grundsatz. Denn letzlich "überschreibt" es den Begriff von Würde des Betroffenen durch den desjenigen, der die Unterstellung vornimmt.

    • @Normalo:

      Und Kann ich wenn ich dennnoch übernimmt dann die Verantwortung dafür ob das Leben nach der Behandlung würdig oder unwürdig ist.



      Kann ich wenn ich dann noch geistig oder inellektuell in der Lage bin den jeweilig entscheidenten Arzt verklagen?



      Muss er dann, der mir die Verantwortung entrissen hat, die Verantwortung für mein weiteres Leben übernehmen?



      Ist er Gott?



      Ich will in Würde sterben Ohne einen menschlichen Gott der mich in unwürde leben lassen will. Nur um seines Willen willen und um der Pharma und Technik willen Profit



      zu schaffen.

      • @Sofia Dütsch:

        Wenn man Sie am Leben gelassen hat, sie aber lieber sterben wollen, lässt sich das korrigieren. Die Korrektur ist nicht angenehm, aber wenigstens möglich. Wenn Sie lieber gar nicht erst am Leben gelassen werden wollen, können Sie das im Voraus verfügen. Wenn Sie aber einmal tot sind, sind sie tot. Daran ist NICHTS reparabel, und danach können Sie auch keine Meinung mehr zu irgendwas bilden.

        Insofern müsste der Arzt sich schon eher für Gott halten, um sich die Kompetenz einzubilden, er könne für Sie die Entscheidung treffen, dass sie lieber tot wären. Denn nur Gott liegt immer richtig und kann es sich deshalb leisten, irreversible Entscheidungen zu treffen, ohne dabei potenziell Schaden anzurichten.

      • @Sofia Dütsch:

        Und das können Sie. Das Zauberwort heißt „Patientenverfügung“. Der springende Punkt ist, dass diese persönliche Entscheidung, buchstäblich die Entscheidung über Leben und Tod, nur der Patient treffen kann. Wer auch sonst?

        Sollte sich der Arzt zum Richter über lebenswertes und lebensunwertes Leben aufschwingen? Ketzerisch gefragt:

        Ist er Gott?

        Das letzte Mal als sich staatliche Stellen und Ärzte zu Richtern über lebenswert und lebensunwert aufschwangen, standen die verantwortlichen wenige Jahre später in Nürnberg vor Gericht. Zu recht, wie die gesamte Weltöffentlichkeit fand. Daran hat sich seitdem nichts geändert.

        • @Kriebs:

          Wenn Sie sich den Fall, der vor dem BGH verhandelt wurde, vor Augen führen – finden Sie da den Vergleich zu Euthanasieprogrammen der Nazizeit nicht doch etwas deplaziert?

          Außerdem hilft eine Patientenverfügung nur bedingt, weil gerne auch mal ignoriert. Gewissensentscheidung und so.

      • @Sofia Dütsch:

        Lesen Sie das Urteil des BGH, dann haben Sie ihre Antwort. (Nein, Sie können einen Arzt nicht verklagen, "weil Sie noch am Leben sind". Das Leben steht über Allem und ein Dritter darf nicht entscheiden, es zu beenden, auch wenn Ihnen, als Patient, das nicht gefällt.