Zahlen ziemlich düster

Die Beratungsstelle Empower registriert einen Anstieg von Übergriffen mit rechtsradikalem Hintergrund. Zahlen will sie nicht nennen: Sie würden den Betroffenen nicht gerecht

Hohe Dunkelziffer: Viele Nazi-Straftaten werden nicht als solche erkannt – so wie lange Zeit der NSU-Mord in Bahrenfeld Foto: Axel Heimken

Von Andreas Speit

Die Anzahl rassistischer Übergriffe und antisemitischer Anfeindungen hat im vergangenen Jahr zugenommen. „An der Elbe sind täglich Menschen von rechter Gewalt betroffen“, sagt eine Sprecherin der Beratungsstelle Empower. Die Angriffe reichten von verbalen Bedrohungen über Körperverletzungen bis zu versuchter Tötung.

Diese Entwicklung sei keineswegs überraschend. „Vor dem Hintergrund der sich weiter zuspitzend nach rechts verschiebenden politischen und gesellschaftlichen Debatten verwundert der Anstieg dieser Botschaftstaten in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen nicht“, sagt die Sprecherin.

Auch der Kampf um kulturelle Hegemonie von rechts durch diffamierende Berichte über Kultureinrichtungen treibe die Normalisierung von nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Ressentiments voran. Das führe letztlich zur „Enttabuisierung von Gewalt gegenüber marginalisierten Personen“.

In ihrer qualitativen Erhebung gibt die Beratungsstelle, die an Arbeit und Leben, den DGB und die Volkshochschule angegliedert ist, bewusst keine Zahl an: Denn eine Zahl sei nicht geeignet, der Situation der Betroffenen gerecht zu werden.

„Die Folgen für betroffene Eltern, die regelmäßig in Kontakt mit der Schule Antisemitismuserfahrungen machen, oder für betroffene Jugendliche, die fast täglich im Wohnhaus von der Nachbarin rassistisch bedroht werden, sind nicht durch eine Zahl zu erfassen“, sagt die Sprecherin von Empower. Außerdem gebe es eine hohe Dunkelziffer, die jeglichen Zahlenvergleich fragwürdig mache.

Eine Zahl erfasse auch nicht den konkreten Beratungsaufwand. Ein Übergriff könne vielleicht mit einem Gespräch abgefangen werden, eine andere Anfeindung könne zu einem jahrelangen Austausch führen. Um die Folgen für die Betroffenen zu erfassen, sei in der Politik und den Institutionen dringend eine kritischeres Gewaltverständnis nötig, sagt die Sprecherin, „das die Gewalt auf allen Ebenen tatsächlich umfasst und nicht erst von Gewaltvorfällen spricht, wenn Bedrohungen, Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen strafrechtlich von Bedeutung sind“.

„An der Elbe sind täglich Menschen von rechter Gewalt betroffen“

Empower

Die Beratungsstelle stellte zudem fest, dass Schulleitungen häufig der Auffassung sind, dass es genüge, wenn sie antisemitische Vorfälle anzeigten. „Außen vor gelassen werden dabei Bedarfe und Rechte von betroffenen Juden und Jüdinnen“, kritisiert die Sprecherin. Kaum wahrgenommen werde von Polizei und Medien der Rassismus gegen „Romn_ja und Sinte_zza“. Die Berichte von Betroffenen machten jedoch deutlich, dass diese nach wie vor angefeindet würden. Ein zentrales Problem sei, dass dies nicht wahrgenommen werde.

In der Erhebung werden die „potenziell besonders gefährlichen Angriffsorte“ ausgemacht: der öffentliche Raum, das Wohnumfeld, Bahnhöfe und Verkehrsmittel, der Arbeitsplatz sowie Bildungsstätten und Unterkünfte. Auch im Bereich Sport und Freizeit sowie bei der Polizei und in Behörden gebe es regelmäßig Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund.

Die Erhebung zeigt, dass in der Politik und in den Bildungsinstitutionen sowie bei der Polizei und in der Justiz rassistische und antisemitische Ressentiments, Bedrohungen und Angriffe kaum erkannt werden. Entsprechend häufig würden die Erfahrungen, Bedarfe und Rechte von Betroffenen missachtet – ein Defizit, das dringend behoben werden müsse, sagt die Sprecherin.