piwik no script img

Essenmit Anspruch

Es geht um das bessere Leben – und wer sich das überhaupt leisten kann. In der Markthalle Neun in Kreuzberg gibt es lecker Essen. Das nicht unbedingt billig zu haben ist. Und es gibt dort einen Aldi – der soll raus.Eine Verdrängungsgeschichte, bei der es um mehr als nureinen Discounter geht

Von Malene Gürgen

Die Tür des Kreuzberger Stadtteilzentrums in der Lausitzer Straße 8 steht offen an diesem Sonntagmittag. Drinnen drängeln sich mehrere Menschen an der Tür zum Hinterzimmer, eine Frau steht auf einem Stuhl, um besser sehen zu können. Rund 60 Menschen haben sich in dem Raum versammelt, dessen Wände mit in Schwarz-Weiß ausgedruckten Aushängen bedeckt sind: „Kiez-Markthalle statt Luxus Food-Halle“ steht in Großbuchstaben darauf, oder „Aldi bleibt“.

Vorne spricht ein Mann, der sich als „Andreas aus der Muskauer“ vorstellt. Er trägt einen schwarzen Kapuzenpullover, sein Mitstreiter neben ihm Hemd unter dem Pullover mit V-Ausschnitt. „Ich finde zuallererst mal: Aldi soll bleiben“, sagt Andreas Wildfang, wie der Mann mit vollem Namen heißt. Die meisten Anwesenden nicken. Aldi sei für viele Anwohner ein Treffpunkt im Kiez. Ein Kiez, dessen Charme „gar nicht so ein erzwungenes Miteinander, sondern eher ein respektvolles Nebeneinander ist“, findet Wildfang, der in den achtziger Jahren das Eiszeit-Kino gleich um die Ecke mitgegründet hat, eine Kreuzberger Institution, die im vergangenen Jahr nach Streitigkeiten mit dem Vermieter schließen musste.

Ob nun Mit- oder Nebeneinander: Mit beidem gibt es momentan ein Problem hier im Kiez rund um den Lausitzer Platz in Kreuzberg 36.

Seit die Betreiber der Markthalle Neun in der Eisenbahnstraße angekündigt haben, dass der in der Markthalle ansässige Aldi-Supermarkt zum 31. Juli schließen und Anfang 2020 durch eine Filiale der Drogeriekette dm ersetzt wird, gibt es in der Nachbarschaft lautstarken Protest. Jeden Sonntag soll es nun eine Anwohnerversammlung zu dem Thema geben, an diesem Samstag ist eine Kundgebung vor der Markthalle geplant.

Wer der Versammlung hier im Stadtteilladen zuhört, merkt schnell: Die Aldi-Schließung ist für viele nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Eigentlich geht es um mehr: Um die Frage, zu was für einem Ort die Ende des 19. Jahrhunderts für die Lebensmittelversorgung der armen Bevölkerung gebaute Eisenbahnmarkthalle geworden ist, seit sie 2011 von der Stadt verkauft wurde und seitdem als Markthalle Neun betrieben wird. Und vor allem geht es darum, für wen dieser Ort ist und für wen nicht.

Der Konflikt spielt in einem Kiez, der sich in den letzten Jahren stark verändert hat, aber noch lange nicht „durchgentrifiziert“ ist. Ende 2016, zum Zeitpunkt der letzten Erhebung durch das Monitoring soziale Stadt, bezogen fast 30 Prozent der Anwohner im Planungsraum Lausitzer Platz staatliche Transferleistungen. Deutlich weniger als zehn Jahre zuvor, der Arbeitslosenanteil etwa hatte sich in diesem Zeitraum fast halbiert. Doch auch zu diesem Zeitpunkt lag etwa der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die in Hartz-IV-Familien leben, mit mehr als 40 Prozent noch gut zehn Prozentpunkte über dem Berliner Durchschnitt.

Gar nicht so verwunderlich also, dass der schon seit Langem schwelende Konflikt um die Markthalle Neun nun mit der angekündigten Aldi-Schließung an Fahrt aufnimmt. Nachdem der Drogeriemarkt Drospa und der Textildiscounter Kik aus der Halle auszogen, der Trinker-Treffpunkt in der Hallenmitte einem Kaffeestand weichen musste und auch der Schreibwarenladen in der Eisenbahnstraße von der erkrankten Besitzerin aufgegeben wurde, wirkt die Aldi-Filiale in der Halle wie das letzte Relikt aus einer anderen Zeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen