Konkurrenz auf dem Biomarkt: Naturkostbranche ringt mit Profil
Elf Großhändler einigen sich auf ein Kernsortiment, um sich im umkämpften Biomarkt zu behaupten. Ob der Einzelhandel mitmacht, ist offen.
„Der Zuspruch der Kunden und das wirtschaftliche Wachstum fielen der Biobranche bisher zu, sodass keine Notwendigkeit für gezieltes Marketing bestand“, sagte Jan Niessen, Professor für strategische Marktbearbeitung in der Biobranche, der taz. Das sei heute anders. „Viele kleine Bioläden kämpfen mittlerweile ums Überleben und müssen sich ihren Platz und damit ihre Existenzberechtigung bei den Kunden erarbeiten.“
Hersteller, Groß- und Einzelhändler der Biobranche diskutieren nun Maßnahmen, wie man Kräfte effektiv bündeln könnte – etwa durch ein Kernsortiment für den nicht filialisierten Fachhandel. Der Vorschlag stammt von den „Regionalen“, einem Zusammenschluss aus elf regionalen Biogroßhändlern, die ein gemeinsames Marketing betreiben und Dienstleistungen für den Bioeinzelhandel anbieten.
In einem ersten Schritt glichen die Großhändler der „Regionalen“ ihre Sortimente ab, um ein einheitliches ökologisches Niveau zu garantieren und Werbekosten zu sparen. Derzeit umfasst das gemeinsam abgestimmte Sortiment etwa 700 Artikel und wird noch auf etwa 1.000 bis 1.500 Artikel ausgeweitet.
Dialog mit dem Einzelhandel wird gesucht
Ob beziehungsweise wann ein derartiges Kernsortiment sich auch in den Regalen der inhabergeführten Naturkostläden wiederfindet, sei derzeit noch offen, so Timo Tottmann, Geschäftsführer der „Regionalen“. „In einem zweiten Schritt werden wir nun den Dialog mit dem Einzelhandel suchen und gemeinsame Interessen und Umsetzungsschritte identifizieren. Sinnvoll ist das Vorhaben vor allem dann, wenn möglichst viele Einzelhändler mitmachen“, sagte Tottmann der taz. 2018 setzte der Biogroßhandel über 1,78 Milliarden Euro um, laut Tottmann bilden die Regionalen rund ein Drittel davon ab.
Obwohl VerbraucherInnen in Deutschland immer mehr Geld für Biolebensmittel ausgeben – im letzten Jahr stiegen die Ausgaben um 5,5 Prozent auf fast 11 Milliarden Euro – ringt die Naturkostbranche um ihre Pfründe.
Vor allem der nicht filialisierte Einzelhandel hat schlechte Karten. Ein entscheidender Grund dürfte sein, dass auch Bioprodukte höchster Güteklasse in den großen Ketten zu finden sind. Lange Zeit waren die ökologisch besonders hochwertigen Produkte von Bioland, Naturland und Demeter nur im Fachhandel zu haben. Seit Lidl, Kaufland, dm und Co. auch solche Verbandsware führen, fürchtet der Fachhandel um ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal.
Anfang März verkündete zudem Edeka – immerhin der größte deutsche Lebensmittelhändler – eine eigene Biomarktkette eröffnen zu wollen. Im Fachhandel steigt die durchschnittliche Verkaufsfläche seit Jahren. Trotz steigender Nachfrage nach Bioprodukten drohen die kleinen, inhabergeführten Biogeschäfte zu verschwinden.
Jan Niessen, der vor seiner Professur Marketingchef bei Bioland war, erklärt: „Notwendig wäre jetzt eine Art genossenschaftliche Organisation – also ein ganz ähnlicher Vorgang wie damals bei Edeka und Rewe“ – die sich aus inhabergeführten EinzelhändlerInnen zusammentaten. „So könnten wichtige Größeneffekte erzeugt und Synergiepotenziale genutzt werden“, sagte Niessen der taz. Die Initiative der „Regionalen“ ginge in die richtige Richtung.
Auch Christoph Gerhard, der die „Regionalen“ sowie Biohersteller und -einzelhändler in Fragen des Sortiments, der Produktplatzierung und der Vermarktung berät, legt den kleinen Einzelhändlern das Kernsortiment ans Herz. „Mit einem gemeinsamen Sortiment können die kleineren Bioläden ihr Profil schärfen und Verbindlichkeit vermitteln“, sagt Gerhard.
Denn: Sei es der Aufstrich von Zwergenwiese, sei es das Müsli von Bauckhof – längst hätten sich auch in der Naturkostbranche Lieblingsmarken und -produkte etabliert. Diese konsequent anzubieten sei letztlich im Interesse des Einzelhandels. Raum für individuelle Gestaltung bliebe erhalten: „Händler können sich nach wie vor über ihr freundliches und kompetentes Personal sowie über regionale Produkte profilieren“, so Gerhard weiter. „Das Kernsortiment ist je nach Ladengröße nur ein relativ kleiner Teil des Gesamtsortiments. Zudem handelt es sich um Produkte, die die meisten Läden ohnehin schon führen“.
Nun gilt es abzuwarten, was die nicht filialisierten Einzelhändler von dem Projekt halten. In den kommenden Wochen sollen sich Arbeitsgruppen finden, in denen das Thema besprochen wird. Elke Röder, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), hält das Kernsortiment für eine spannende Idee – bis zur Umsetzung werde allerdings noch etwas Zeit vergehen. Die Naturkostbranche sei eben kein uniformer Konzern, sondern respektiere die Vielfalt der Sichtweisen selbstständiger UnternehmerInnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch